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Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Titel: Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bevor der Vorhang aufgezogen wurde, erschien Eugen auf der Bühne. Er trug einen hellen Sommeranzug, wie man ihn in diesem Frühjahr in London trug, aber natürlich hatte ihn der polnische Schneider in Pleß gemacht, nach Bildern aus Englands Metropole. »Werden Sie sein elegantäster Mann im ganzen Land!« hatte Moshe Abramski begeistert gerufen und in die Hände geklatscht, als Eugen den neuen Anzug anprobiert hatte. »Da wärden Weiberchen aber gucken nach fäschem Härrn …«
    Er verschwieg dabei natürlich, daß Eugens dicker Bauch auch die beste englische Eleganz nicht zur Wirkung bringen konnte. Ein guter Schneider ist immer begeistert.
    Im Saal erloschen die Lichter. Feierliche Stille senkte sich über die Bürger von Wurzen: Ein ganz großer Abend begann. Leo Kochlowsky strich sich nervös den Bart und schielte zu seinem kleinen Frauchen hinunter. Sophie saß, die Hände wie immer im Schoß gefaltet, ein wenig zusammengesunken auf ihrem Stuhl und starrte auf den noch geschlossenen Vorhang. Es war, als atme niemand mehr im Saal. Als jemand wagte, unterdrückt zu husten, spürte man fast körperlich die Empörung der anderen.
    Hinter dem Vorhang schlug ein Gong an, eine Leihgabe der Feuerwehrkapelle. Unter den Klängen des ersten Satzes von Mozarts ›Kleiner Nachtmusik‹ ging langsam und feierlich der Vorhang auf. Das blumengeschmückte Lesepult in der Mitte der Bühne ließ einem schon im voraus wohlige Schauer über den Rücken rieseln.
    Ein Dichter würde lesen …
    Nach dem ersten Satz der ›Kleinen Nachtmusik‹ trat Frau Hille auf. Sie trug ein blaues Abendkleid mit Spitzenrüschen und wirkte sehr blaß. Der Pianist, der sie am Flügel begleitete, im Privatleben Oberlehrer Ernst Hallerbach, bog seine Finger durch, pustete in die Hände und reckte die Arme vor. Ein Virtuose muß sich erst lockern. Dann verrückte er viermal den Sitzschemel, bis seine Position richtig war, und nickte Frau Hille zu.
    »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein …«
    Frau Hilles Stimme, noch etwas belegt, noch nicht frei vom Lampenfieber, füllte den Saal. Es klang sehr ansprechend – man war in Wurzen auch stolz auf Frau Hilles Stimme. Zwar keine Schröder-Devrient wie an der Königlichen Hofoper zu Dresden, aber für die Provinz sehr beachtlich.
    Hinter der Bühne stand Eugen Kochlowsky, die Manuskripte unter dem Arm, und wartete. Regisseur Flügge stand neben ihm und strahlte.
    »Wie lange wimmert die noch?« fragte Eugen plötzlich. Flügge zuckte schmerzlich zusammen.
    »Sie singt zur Einleitung drei Lieder …«
    »Da hätte ich auch Cäsar mitbringen können.«
    »Ich denke, Sie lesen eigene Werke?«
    »Cäsar ist mein Hund. Ein Dobermann. Wenn ich den in den Schwanz kneife, heult er besser als dieses Weib da vorne …«
    Flügge schwieg. Ob Eugen oder Leo … Es sind Kochlowskys. Ein und dieselbe Bande! Im Benehmen, im Ton – aber man muß sie ertragen!
    Nach dem dritten Lied herrschte erwartungsvolle Stille im Saal. Leo Kochlowsky zog den Kopf etwas in die Schultern. Zum ersten Mal spürte er so etwas wie Scham: Er schämte sich im voraus für seinen Bruder Eugen.
    Ein heller Strahl, erzeugt von einer starken Gaslampe mit einem Silberreflektor, erleuchtete das Blumenstehpult: Eugen Kochlowsky betrat die Bühne. Souverän, fett, in seinem Maßanzug nach englischer Art noch runder wirkend, lächelnd, die Haare zu Locken gebrannt. Leo, der ihn den ganzen Nachmittag nicht gesehen hatte und von der Friseurorgie nichts wußte, unterdrückte einen lauten Seufzer – so schritt Eugen zum Lesepult und legte seine Blätter auf die Ablage. Sein Blick schweifte über die Zuhörer, erfaßte Bruder Leo in der ersten Reihe und verdunkelte sich: Leo tippte sich an die Stirn.
    In Eugen klomm echter Widerstand empor. Mein kleiner Bruder verspottet mich … Na warte, Leo! Der Abend hat gerade erst begonnen!
    Kochlowsky, der Dichter, begann seinen Vortrag mit einer Ode, die sich eng an Hölderlin anlehnte. Er besang darin die Schönheit einer Butterblume – warum es gerade eine Butterblume sein mußte und keine Rose oder weißer Flieder – das ist eben dichterische Freiheit. Immerhin, es klang ganz gut, die Zuhörer waren begeistert. So hatten sie eine Butterblume noch nicht gesehen. Auf den Wurzener Wiesen galten sie als Unkraut.
    Der Beifall war frenetisch. Eugen blickte triumphierend hinunter zu Leo. Der klatschte sogar mit, aber andersherum: mit den Handrücken. An Eugens Schläfen begannen die Zornadern zu schwellen. Das war

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