Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
passieren!« meinte der Bahnhofsvorsteher pikiert. »Davon stürzt der Himmel ja nicht gleich ein!«
»Abwarten! Diese Woche Hotel bezahlt die Bahn.«
»Nein.«
»Sehen Sie! Schon geht's los! Sie werden erleben, wie ihr ach so fester Himmel zu wackeln beginnt!« Kochlowsky unterschrieb die Frachtpapiere, bestellte einen Fuhrmann, der die Möbel zum Haus transportieren sollte, und ritt dann zum ›Schwanen‹.
»Der Waggon ist da, Schatzel«, sagte er zu seiner kleinen Frau. »Morgen räumen wir ein. Und übermorgen beginnt wieder das normale Leben. Um acht trete ich meinen Dienst in der Ziegelei an.«
»Drei Tage zu spät, Leo, es ist dann der dritte November …«
»Na und?! Solange ich neben einem Pferd im Stroh schlafen muß, betrachte ich mich als Zigeuner, aber nicht als Betriebsleiter. Der Baron soll ebenfalls die Bahn verklagen …«
Am nächsten Tag wurde das Haus eingerichtet. Zwei Mädchen und zwei Schreiner aus der Ziegelei halfen dabei.
Am Morgen des 3. November betrat der neue Betriebsleiter die Ziegelei, von allen mit größter Neugier erwartet und kritisch beäugt. Man wußte schon aus der ständig kochenden Gerüchteküche, daß sich vieles, ja fast alles ändern sollte. Modernisieren nannte man das! Hieß das nun mehr oder weniger Arbeit? Neue Maschinen – bedeutete das weniger Arbeitskräfte und mehr Arbeitslose? Würden Maschinen den Menschen ersetzen? Brachte der Fortschritt die Armut ganzer Familien mit sich? Wer war der erste, der in den Hunger gestoßen wurde?
Im großen Büro der Ziegeleileitung wurde Kochlowsky bereits erwartet. Ein bulliger Mann saß hinter dem Schreibtisch und erhob sich langsam, als Kochlowsky eintrat und die Tür hinter sich zuwarf. Sein Blick verfinsterte sich sofort. Es hatte niemand hinter diesem Schreibtisch zu sitzen, auch wenn der Holzsessel leer war.
»Da sind Sie ja«, sagte der breitschultrige Mann. »Drei Tage zu spät …«
Hätte man Kochlowsky mit den Worten! »Guten Morgen, Sie Grobian!« empfangen, wäre das zwar unhöflich gewesen, aber Kochlowsky hätte es mit milder Grobheit beantwortet. Daß aber ein Fremder obendrein noch hinter einem ihm nicht gebührenden Schreibtisch ihn mit deutlich tadelnder Stimme der Unpünktlichkeit bezichtigte, gab seinem Herzen sofort einen heißen Stoß.
»Das geht Sie einen Dreck an!« schrie Kochlowsky prompt.
»Das möchte ich bezweifeln!« bellte der bullige Mann zurück.
»Was machen Sie eigentlich hinter meinem Schreibtisch? Weg hier!«
»Ist das ein Heiligtum?«
»Wenn ich dahinter sitze, wird es eins!« brüllte Kochlowsky. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Willibald Hammerschlag! – An Mangel an Einbildung leiden Sie nicht …«
»Hammerschlag?« Kochlowsky kam näher. »Der Rentmeister …«
»Ja.«
»Dann sind Sie hier falsch. Kümmern Sie sich um Ihre rotläufigen Schweine …«
»Ich habe auch mit wilden Ochsen zu tun!«
»Verständlich, daß es Sie zu den Kastrierten zieht …«
»Herr Kochlowsky!«
»Herr Hammerschlag!«
Sie standen sich jetzt, nur durch den Schreibtisch getrennt, gegenüber. Ihre Augen sprühten Funken.
»Ich bin als Rentmeister auch für Ihre Bezahlung verantwortlich!«
»Ich werde nicht bezahlt, ich bekomme ein Gehalt!«
»Das ist ja wohl dasselbe …«
»In Ihrem verschrumpelten Buchhaltergehirn vielleicht. Man bezahlt einen Sack Salz, wenn man ihn kauft, aber nicht einen Menschen. Es ist wohl ein Irrtum, zu glauben, daß jeder die deutsche Sprache beherrscht.«
»Ganz recht – vor allem, wenn man aus Polen kommt …«
Es gab auf dieser Welt nichts Schlimmeres, als Kochlowsky so etwas ins Gesicht zu sagen. Er starrte Hammerschlag eine Sekunde wie entgeistert an, drehte sich abrupt um und ging zur Tür. Mit einem wilden Ruck riß er sie auf und drehte sich dann herum. Hammerschlag stand noch immer schwer und breitbeinig hinter dem Schreibtisch.
»Raus!« zischte Kochlowsky.
»Sie sind wohl verrückt, was?« schrie Hammerschlag.
»Wenn ich an meinen Platz zurückkomme, können Sie erleben, wie ein Pole aus Ihnen einen fliegenden Menschen macht …«
»Dazu brauchen Sie mehr als ein großes Maul!«
Hammerschlag kam um den Tisch herum. So schwer, wie er war, so ging er auch … bärenhaft, die Arme hängend, die Säulenbeine kaum vom Boden abhebend. Der große runde Kopf saß halslos auf den breiten Schultern. Er erweckte durchaus den Eindruck, daß es schwer war, ihn von der Stelle zu rücken.
Plötzlich fuhr Kochlowskys Hand zum rechten Bein, riß aus dem
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