Kochwut
an den Herden daneben arbeiteten konzentriert weiter und kümmerten sich überhaupt nicht um das Geschehen ringsum.
»Ach ja?«, gurrte die Blomberg. »Wirkt das auch bei Frauen?«
»Klar! Aber du brauchst des doch gar net«, schmeichelte der Koch neben ihr, der nicht mehr der Jüngste war und dessen spärlicher Haaransatz in einem unpassend frischen Braun schimmerte. Jetzt erkannte ihn Angermüller. Das war doch dieser berühmte Sternekoch, dessen Konterfei von Gewürztüten, Marmeladengläsern und Weinflaschen grinste – wie hieß der noch gleich?
»Ja, meine Damen und Herren, jetzt kommt der Moment, auf den Sie schon die ganze Zeit gewartet haben: Jetzt dürfen Sie endlich genießen!«
Alix Blomberg griff sich ein paar Gabeln und stöckelte mit dem Teller in der Hand auf die Zuschauertribüne zu.
»Ich komme!«, hauchte sie, was ein paar männliche Zuschauer sofort zu einem ›Wow, wow, wow!‹ animierte. Wieder brach ein Begeisterungssturm los.
»Und nun serviere ich Ihnen Jakobsmuscheln auf gebratenem grünem Spargel mit Curryschaum, Zitronengras und geräuchertem Himalayareis.«
Unter die Rentner in der ersten Reihe kam Bewegung, und Angermüller sah zu seinem Erstaunen, dass sie mitgebrachte Gabeln und Löffel auspackten.
»Und? Schmeckt das gut?«, fragte die Moderatorin, kaum dass ein rotgesichtiger Mann sich das erste Häppchen in den Mund geschoben hatte.
»Mmh, das schmeckt echt lecker!«, kam postwendend die Antwort.
»Na, und was sagen Sie? Schmeckt’s Ihnen auch?«
Die angesprochene Zuschauerin wandte ihr Gesicht professionell der Kamera zu und sagte lächelnd, als ob sie in einem Werbespot aufträte: »Ich kann nur sagen, das schmeckt nicht nur lecker«, sie machte eine dramatische Pause, »das schmeckt oberlecker!«
»Einen Applaus für unseren Freund Alois Schlipf!«, rief die Blomberg ekstatisch.
Wie auf Kommando johlte und trampelte das Publikum. Verblüfft blickte sich Angermüller um. Was war das hier für ein Zirkus? Was hatte das mit Kochen zu tun? Allein er war im Dienst und konnte jetzt nicht länger über dieses Phänomen philosophieren. Er hatte einen Mord aufzuklären und bald vielleicht noch einen zweiten.
Vor dem großen Spiegel in der Maske, keine zehn Meter von hier, saß die bekannte Köchin Maja Graflinger. Es war ein grässliches Bild, das der Spiegel zurückwarf. Maja Graflinger regte sich nicht, Speichel rann ihr aus dem Mund, die Augen waren weit aufgerissen. Ihr ausgeschnittenes weißes T-Shirt war mit Erbrochenem befleckt, ihr Atem ging schnell und stoßweise, und sie drohte zu kollabieren. In dem kleinen Raum roch es unangenehm säuerlich nach den unverdauten Speiseresten und außerdem ganz eindeutig auch nach Darminhalt. Schon nach dem ersten Blick hatte die Notärztin das Stichwort ›Vergiftung‹ genannt.
»Eine gewöhnliche Lebensmittelvergiftung schließe ich aus«, erklärte sie dann und fügte mit einem schiefen Grinsen hinzu: »Es sei denn, die Dame hat einen unsachgemäß zubereiteten Fugu gegessen.«
»Also kein Zufall, denken Sie?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Die Symptome sind eindeutig. Gerade diese Unterkühlungsmerkmale. Ein schöner Tee mit Eisenhut vielleicht«, sagte die Ärztin munter. »Ich tippe in jedem Fall auf ein starkes pflanzliches Alkaloid. Ich habe mich während meines Studiums damit recht intensiv befasst, und da gibt es unter unseren heimischen Pflanzen einige, mit denen Sie Ihren liebsten Feind loswerden können. Eisenhut ist die giftigste von allen.«
»Kann Maja Graflinger die giftige Substanz auch vor ihrer Ankunft im Studio zu sich genommen haben?«
»Von dieser Stelle aus kann ich mich da nicht festlegen. Es gibt schnell und langsam wirkende Gifte, und es kommt auch auf die Dosis an. Aber wenn meine Annahme stimmt, dass es Eisenhut war, dann ist die Einnahme keine zwei Stunden her. Und wenn Sie mich fragen, ich würde ein schnell wirkendes Gift vorziehen, wenn ich jemanden ausschalten will.«
Auf dem Tischchen vor dem Opfer stand kein Trinkgefäß, kein Teller, aber das konnte ja auch jemand beseitigt haben. Angermüller überschlug, wie viele Personen zum Team gehörten, und kam auf ungefähr 20, dazu noch die drei Köche, die drei Lehrlinge, die Moderatorin und die beiden Kandidaten. Jeder aus diesem Kreis hatte Zugang zu den hinteren Räumlichkeiten.
Der Kommissar konzentrierte sich wieder auf das Geschehen auf der Bühne. Offensichtlich war der Höhepunkt der Sendung erreicht. Unter dem rhythmischen
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