Kochwut
Klatschen des Publikums wurden Pierre Lebouton, Alois Schlipf und der dritte Koch, der deutlich jünger als seine beiden Kollegen war und den Angermüller nicht kannte, von Alix Blomberg zu einem Tisch geführt, an dem die beiden Kandidaten ihre Werke angerichtet hatten. Der eine war ein hübscher junger Mann in Jeans und eng anliegendem T-Shirt, der, sobald die Kamera auf ihn gerichtet war, siegessicher sein makelloses Gebiss zeigte und das Victoryzeichen mit der Hand machte. Seine Konkurrentin, eine füllige Frau Mitte 50 mit blonder Igelfrisur und einem eigenwilligen, roten Brillengestell war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine knallrote Schürze. Sie reagierte ebenfalls sofort auf die Kamera, zeigte ein süßes Lächeln und warf Kusshändchen, wobei die vielen auffällig großen Ringe an ihren Fingern im Scheinwerferlicht aufblitzten.
Nun kosteten die Köche die Spargel-Kreationen der beiden Laien, die Kameras übertrugen Nahaufnahmen ihrer kritischen Mienen, während sie kauten, und das Publikum wartete gespannt.
»Also, was soll ich sagen, des is net die schlechteste Art, einen Spargel zu servieren. Sieht ganz passabel aus, riecht a net schlecht. Also«, Alois Schlipf hielt kurz inne, der Kandidat presste aufgeregt seine Hände vor der Brust zusammen, »es schmeckt ganz lecker, Claudio, was du da gemacht hast. Du hast dir große Mühe gegeben, du bekommst von mir drei Punkte.«
Auch vom zweiten Juror erhielt Claudio drei Punkte. Der riss daraufhin begeistert Mund und Augen auf und wackelte fröhlich mit dem Kopf. Als Letzter äußerte sich Pierre Lebouton. Dabei wurde es ganz still im Studio, er war der Gottvater. Den Spargelschaum mit Bärlauchknospen zum gefüllten Bressehuhnbrüstchen neben Kartoffel-Kaviar-Pralinés des eben noch siegesgewissen jungen Mannes vernichtete er mit dem Satz: »Ich fürchte, du hast dich überschätzt, Claudio.«
Claudio sackte in die Hocke und hielt sich die Hände vors Gesicht.
»Du hast eigentlich ganz gute Fähigkeiten«, fuhr der Meister gnadenlos fort, »aber bei diesem Gericht hast du sie geschickt verborgen und nur auf billige Effekte hingearbeitet. Von mir bekommst du einen Punkt für die Mühe.«
Alix Blomberg beugte sich zu dem jungen Mann, der zu weinen schien, und streichelte ihm über den Kopf.
»Es ist doch noch nicht vorbei, Claudio. Nächste Woche hast du eine neue Chance!«, tröstete sie und lächelte dabei in die Kamera.
Ungerührt hielt Lebouton derweil einen Vortrag, wie man den Spargel in seiner Elsässer Heimat zu servieren pflegte.
»Im Elsass wird der Spargel, dieses edle Gemüse, ganz klassisch mit hausgemachter Mayonnaise, einer Vinaigrette und einer ›Sauce Mousseline‹ serviert, dazu Schinken und feine Kartöffelchen, Bamberger Hörnchen zum Beispiel – das ist ein harmonisches Geschmackserlebnis. Auch wenn wir Spitzenköche noch so abgehobene Sachen kochen, das Einfache, meine Damen und Herren, ist doch oft das Beste, nicht wahr?«
Das Publikum applaudierte zustimmend.
Jetzt zoomte die Kamera ganz nah auf Lilo, die gleichzeitig ängstlich und gespannt zu den drei Köchen schaute und dabei die Lippen fest zusammenpresste. Ihre Hände hielt sie wie zum Gebet vor der Brust gefaltet. Angermüller fragte sich, wie sie es schaffte, mit diesen dicken Ringen an den Fingern Küchenarbeit zu verrichten.
Die Herren kosteten von den lauwarmen Spargelspitzen in Estragonvinaigrette an Dinkelcrostini mit getrüffeltem Entenleberparfait, wiegten nachdenklich ihre Köpfe und gaben schließlich jeder vier Punkte. Donnernder Applaus, das Publikum war jetzt außer Rand und Band. Lilo strahlte und verteilte noch mehr Kusshändchen. Als Lebouton meinte, sie habe heute ihr Meisterstück abgeliefert, fiel sie ihm völlig verzückt um den Hals. Man sah dem Meisterkoch an, dass er diesen intensiven Körperkontakt mit der Kandidatin eher befremdlich fand. Sanft schob er die völlig aus dem Häuschen Geratene von sich weg.
Unter allgemeinem Jubel und den ersten Takten der Erkennungsmelodie der Sendung rief Alix Blomberg ihre Abmoderation ins Mikro.
»Ja, meine Damen und Herren, das spannende Duell ist noch nicht vorbei! Nächste Woche geht es in die letzte Runde, und es fällt die Entscheidung beim Dessert, der Krönung eines jeden Menüs. Unsere Kandidaten treten mit ihren Kreationen gegeneinander an, und da entscheidet sich dann, wer die 10.000 Euro mit nach Hause nehmen darf: unsere liebenswerte Lilo?«
Die Kamera fuhr ganz nah auf Lilos Gesicht. Unter
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