Köhler, Manfred
Tastversuche verschlossen bleiben muss. Erwägungen darüber können zwangsläufig nichts anderes sein als Fantasie.
Der Sekten-Entsandte war pfiffig genug, auf solche Argumente erst gar nicht einzugehen. Er lenkte sofort ab mit Psychotricks, zum Beispiel mit der altbewährten Technik, über allgemeine Fragen, die nur mit Ja beantwortet werden können, zu den für ihn entscheidenden Fragen zu kommen und mich dabei so auf Ja zu trimmen, dass ich schließlich auch ohne zu stutzen das Glaubensbekenntnis ablegen würde. Das war zunächst recht witzig: Er fragt und fragt, sie begleitet jedes meiner Jas mit einem bestätigenden Nicken, Lippen zusammen gepresst und Augenbrauen hochgezogen, als wolle sie mögliche letzte Zweifel zerstreuen: Glaube es ruhig, so ist es! Schon beim dritten, vierten Mal wirkt es lächerlich, ich verliere das Interesse.
Während er also fragt und mir nichts anderes zu sagen bleibt als Ja und Ja und Ja und sie immer entfesselter nickt, man meint, sie erwarte eine ganz andere Art von Höhepunkt, da denke ich daran, wie lange ich wohl die Couch schon nicht mehr abgesaugt haben mag. Ich greife in eine Spalte, aber statt klebriger Staubfitzel ziehe ich einen kugelförmigen, weiß glänzenden Knopf hervor, der zu einem weiblichen Kleidungsstück gehört haben muss.
Wie lange mag der da schon gesteckt haben, und welcher Verflossenen mag er abhanden gekommen sein? Es scheint mir, als hätte ich den Knopf in der Wohnung einer längst verstorbenen Person gefunden. Mein eigenes Liebesleben ist mir auch nicht geläufiger als es Spekulationen über Ereignisse im Leben eines dahingeschiedenen Fremden sein könnten. So alt bin ich schon. Und so lang ans Dauerwechseln gewöhnt.“
So wenig Lothar Sahm es schaffte, am Montag pünktlich um 14 Uhr im Hochzeitsmodenhaus Braut und Bräutigam zu erscheinen, so wenig war Rosa Guttler vorbereitet und konzentriert genug, um Fakten für einen Artikel zu liefern.
Ellen hatte eine Vorauswahl von rund 50 großformatigen Abzügen getroffen, und die sollte er sich in aller Ruhe anschauen, während Rosa Guttler im Lager verschwand und Ellen kurz um die Ecke ging, um etwas zu holen. Eine Kundin kam herein. Rund fünf Minuten hatte sie zu warten, bis die Dame Guttler endlich aus dem Lager zurückkam, und über eine halbe Stunde musste sich Lothar Sahm gedulden, bis die Kundin nach einem Dutzend Anproben endlich wusste, dass ihr kein Kleid so recht gefiel.
Dann lud ihn Rosa Guttler ein, Lager und Änderungsschneiderei zu besichtigen, und da, endlich, traf er auf Sarah, die damit beschäftigt war, eine neue Warenlieferung auszupacken und aufzubügeln. Es schien ihm, dass auch sie sich freute, ihn zu sehen. Er regte an, das Interview doch hier hinten zu machen, aber Rosa Guttler fand den Laden als Gesprächsort geeigneter: Sie wollte die Bilder mit ihm durchgehen, die dort auf einem Tischchen zurückgeblieben waren. Als er diese Bilder noch ein zweites Mal, jetzt versehen mit ihren Kommentaren, betrachtet hatte, wollte Rosa Guttler noch auf Ellen warten, wo die nur wieder blieb!
Inzwischen war es 15.30 Uhr, in der Redaktion lag noch reichlich Arbeit, und so fing er schon mal an, ein paar Fragen zu stellen. Immerhin erfuhr er, dass der Erfolg der Messe sogar die Veranstalterin überrascht hatte. Der Dezember sei ja eigentlich verfrüht, da hätten die Leute das Weihnachtsfest im Kopf und noch nicht die Hochzeit. Bisher habe die Messe daher immer im Januar stattgefunden, aber da sei diesmal kein Termin im Belegungsplan der Stadthalle frei gewesen. Sie ließ sich über die unflexiblen Rathausbeamten aus, die sie fast um den Erfolg ihrer Jubiläumsmesse gebracht hätten, aber nur fast.
Dann fiel ihr plötzlich eine Idee ein, die sie schon lange hege: Ob er sich nicht vorstellen könne, mit ihr zusammen professionell gestaltete Hochzeitszeitungen für ihre Kundinnen anzubieten, das sei doch eine echte Marktlücke, eine schönere Erinnerung an eine Eheschließung könne es gar nicht geben.
Mitten in diese tolle neue Geschäftsidee platzte eine Kundin. Rosa Guttler entschuldigte sich für ein paar Minuten. Er fragte, ob er Sarah hinten im Lager besuchen dürfe.
Die strahlte vor Freude, ein bisschen Gesellschaft zu haben. Diesmal blieb es ihm erspart, dumme Fragen stellen zu müssen, denn er hatte den Sonntag genutzt, sich über ihre Heimatstadt zu informieren. Er fragte nach der Altstadt, warum denn die unter die Erde verlegt worden sei?
Sarah sprudelte los, das sei so nicht
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