Köhler, Manfred
aber wiederum zunächst Mandy abzuhandeln hatte, indem er es ihr schriftlich gab, ihr bis Weihnachten sämtliche Nachtdienste und obendrein noch den Sonntagsdienst am Feiertagswochenende abzunehmen.
Walter war über ein derartiges Interesse an der unter Redakteuren als Ekeltermin verrufenen TuS-Weihnachtsfeier einigermaßen erstaunt, sagte aber nichts. Als Lothar Sahm sich für Samstagabend freiwillig für die Premiere des Weihnachts-Laienmusicals der Realschule meldete, verkniff er sich abermals jede Bemerkung, war er doch heilfroh, das Ding im Kalender als vergeben ausstreichen zu können: Bei so was war es sogar schwer, einen freien Mitarbeiter zu motivieren, oft fand sich erst bei doppeltem Zeilenhonorar jemand dafür bereit.
Als sein sonst so abendterminscheuer Kollege Lothar Sahm sich dann aber in der Woche darauf auch noch darum riss, einen Diavortrag der Landsmannschaft Schlesien mit dem Titel „Rübezahl im Winterwald – Weihnachtsbräuche rund ums Riesengebirge“ zu besprechen, eine Veranstaltung, die so unbedeutend war, dass man nicht mal einen freien Mitarbeiter eingeteilt hätte, und sich – für den ersten Weihnachtsfeiertag! – für eine winterliche Besichtigungsfahrt des Landkreises mit der Freien Wählergemeinschaft vormerken ließ, rutschte Walter Wonschack dann doch eine Bemerkung heraus, die Lothar Sahm gar nicht anders verstehen konnte denn als deutlichen Hinweis darauf, dass mit Buckeln bekanntermaßen keine Punkte bei Crähenberger zu sammeln waren. Unter dem Aspekt hatte er seine Bemühungen, ein urdeutsches Weihnachtskulturprogramm für Sarah zusammenzustellen, noch gar nicht betrachtet.
Er hatte nicht etwa vor, Walters Verdacht auf dramatische Weise zu entkräften, als er am selben Tag seine erste Glosse seit Langem schrieb. Der kleine Text fiel ihm einfach so ein, während er Pizza mampfend im Duden nachschlug, ob es dieses seltsame Wort tatsächlich gab, das die Czibull sich in ihrem Artikel vom Vortag über einen Einbruch ins Städtische Trachtenmuseum nicht hatte verkneifen können. Er fand das Wort, es war tatsächlich Teil der deutschen Sprache: Gebände, das; -s, - (eine mittelalterl. Kopftracht).
Wieder was gelernt. Er las sich ein wenig im Umfeld dieses Wortes durch den Duden und stieß auf weitere bemerkenswerte Begriffe, zum Beispiel Gebälfer, Gebarung oder Geäfter. Schließlich stopfte er sich das letzte Stück Pizza in den Mund und startete Peters Computer. Eine erste Zeile war ihm eingefallen, der Rest ergab sich wie von selbst:
Bildendes
Auch der Lokalteil einer Tageszeitung, man glaubt es kaum, hat über alle Chronistenpflicht hinaus einen Bildungsauftrag, soll also dem Leser etwas mit auf den Weg geben, das ihn im Leben weiterbringt, ihn in höhere geistige Dimensionen vorstoßen lässt und ihn zudem – in unserem speziellen Fall – als Leser der Wallfelder Rundschau auszeichnet, ihn über die Schicht der Durchschnitts-Zeitungsleser hinaushebt. Dem nachzukommen soll uns in dieser Ausgabe besondere Verpflichtung sein. Basteln wir also einen deutschen Satz, der dem Leser außer dem Genuss am gedruckten Wort einen Wissensgewinn verheißt. Wir greifen zum Duden, dem Quell deutscher Sprachweisheit, und blättern, blättern, blättern. Und staunen. Vor unserem geistigen Auge fügt sich folgender fremdwortfreier, wohltönender (wenn auch auf den ersten Blick nicht gerade sinnstrotzender) deutscher Satz: „Egolf ist kürzlich in der Wächte an Geäfter und Beiried verunfallt.“ Sollten Sie, lieber Leser, zufällig einen Egolf (männlicher Vorname) kennen, der jüngst in eine Schneewehe gestürzt ist und sich dabei an Zehen und Rippen verletzt hat, dann können Sie mit obigem Satz bedenkenlos glänzen. Allerdings sollte jener Egolf, des Geäfters wegen, vier Beine und ein Geweih haben. Ansonsten könnte man in Jägerkreisen an der Umsetzung des Bildungsauftrages in unserer Zeitung zweifeln.
Er setzte sein Kürzel LS unter die Glosse und legte sie auf unbestimmte Zeit auf der Festplatte ab. Vor Weihnachten würde er sie bestimmt nicht wieder hervorholen. Bis dahin boten sich, alle Jahre wieder, Themen wie Baumschmücken, verkohlter Weihnachtsbraten oder Geschenke-Umtausch zur Glossierung an.
Irgend jemand aber weckte Egolf schon nach einem Tag aus seinem kaum begonnenen Winterschlaf. Der Geschäftsführer war derart aufgebracht, dass er sich nicht mal Zeit für ein Memo nahm: Er brüllte seinen stellvertretenden Redaktionsleiter am Telefon zusammen. Es fielen
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