Köhler, Manfred
you?“
„Sarah ist Amerikanerin, müssen Sie wissen, die Tochter von meiner Schwester, die sich mit dem Schweden Svenson nach Seattle verheiratet hat. Lauter S, uhuhuh. Also...“
Sie redete und redete. Er sah sich die junge Frau an, die ihn da, eingerahmt von Hochzeitskleidern, anlächelte. Ein hübsches Lächeln, aber sehr jung war sie, wohl gerade mal 25, hatte dunkle Locken – eigentlich nicht sein Typ.
„Wollen Sie vielleicht ein Foto von mir und Sarah machen, hier an meinem Stand?“, fragte die Dame Guttler, und schon stand sie in Positur, die Nichte fest an sich gedrückt. Sarah sollte unbedingt ein Kleid präsentieren. Oder am besten anziehen? Aber welches? Kein allzu tief ausgeschnittenes jedenfalls...
„Vielleicht machen wir erst mal ein Foto einfach so“, schlug er vor, „weil doch die Modenschau gleich losgeht. Ich würde Sie nämlich gern vorher noch einiges fragen.“
„Ach richtig, ach nein, das mit den Fragen machen wir lieber hinterher“, bestimmte sie mit Blick auf ihre Uhr. „Ich muss ja schleunigst zu den Models hinter die Bühne.“
„Bis hinterher wollte ich eigentlich nicht bleiben.“
„Aber Sie müssen! Wie wollen Sie denn über die Show schreiben, wenn Sie diese nicht ganz gesehen haben? Das Finale ist doch das Wichtigste!“
Sie schnappte ihn wieder am Ärmel und zog ihn in den Saal. Unterdessen waren die Besucher größtenteils vom Foyer in die Halle geströmt, die Stuhlreihen rund um den T-förmig von der Bühne in den Saal ragenden Laufsteg waren voll besetzt.
„Ich bringe Sie zu Ihrem Platz“, bestimmte sie und zog ihn hinter sich her zu einem letzten freien Sitz in der Mitte ganz vorn am Balken des Ts. Eine blonde, langhaarige Frau mit Kamera-Ausrüstung saß da bereits inmitten potentieller Bräute und Schwiegermütter. Sie fiel nicht nur durch ihre Stative und Objektive auf, sondern auch durch ihre Kleidung: Während die Modenschau-Besucherinnen herausgeputzt waren als sei das nicht die Messe sondern bereits die Hochzeit, trug die Blonde Jeans und ein kariertes Holzfällerhemd.
„Ich muss Sie noch vorstellen“, schnaufte die Dame Guttler, „das ist Ellen Frey, meine Fotografin.“
„Nicht nötig“, sagte Ellen lächelnd, stand auf und schüttelte ihm kraftvoll die Hand. „Wir sind uns schon begegnet.“
Er war auf ihren brutalen Händedruck vorbereitet und quetschte aus Leibeskräften dagegen.
„Frau Frey ist eine echte Künstlerin. Ich habe sie extra für heute Abend engagiert, damit Sie, Herr Sahm, nicht fotografieren müssen. Sie sollen sich ganz auf die Beurteilung der Mode konzentrieren können. Und nun genießen Sie die Show, ich muss hinter die Bühne.“
Und ab ging es im Hühnertrab. Ellen und er setzten sich.
„Eigentlich bin ich ja vor allem hier, um Fotos zu machen“, sagte er ein bisschen vor den Kopf gestoßen. „Von den Kleidern verstehe ich überhaupt nichts.“
„Ich auch nicht“, sagte Ellen munter, „aber Sie können die Frau Guttler ja fragen, was ihr wichtig ist.“
Genau das hatte ich auch vorgehabt, dachte er, aber dafür muss ich doch nicht den ganzen Abend hier vergeigen.
„Das war übrigens ein toller Bericht damals. Hat mir eine Menge Aufträge gebracht. Seitdem läuft es richtig gut.“
„Dann leben Sie jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr auf dem Campingplatz?“
Das war im August seine Top-Sommerlochstory gewesen: Profi-Fotografin mit Wohnsitz und Studio in einem Wohnwagen.
„Doch, natürlich. Sie glauben mir immer noch nicht, dass ich gerne so lebe.“
„Damals im Sommer, vielleicht, aber jetzt bei dem Sauwetter?“
„Da ist es besonders heimelig. Besuchen Sie mich doch mal wieder!“
Das Licht ging aus, ehe ihm eine Ausrede eingefallen war, und Rosa Guttler wackelte in Begleitung des Moderators auf die Bühne. Sie stellte sich als Veranstalterin und natürlich Inhaberin von Braut und Bräutigam vor, begrüßte das Publikum, wünschte viel Freude bei der Show und „Uhuhuh!“ schon mal Gottes Segen für die bevorstehende Hochzeit. Dann zog sie sich wieder hinter die Bühne zurück, während der Moderator, ein bekannter und beliebter Witzbold eines überregionalen Radiosenders, mit flotten Sprüchen loslegte.
Ellen brachte ihre Objektive in Stellung. Als die ersten Reifrocksäume über den Laufsteg wippten, versuchte Lothar Sahm sich in die Materie hineinzudenken. Also, da gab es schon Unterschiede: Die einen Kleider hatten kurze, die anderen lange oder gar keine Ärmel. Mal waren die Röcke
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