Köhler, Manfred
jungen Typen in Latzhosen auf dem Beifahrersitz eines Pickups. Schlagartig vergingen ihm seine Sorgen – zur Wut gesellte sich ein Gefühl ganz anderer Art.
„Das ist Jim“, plapperte Ellen durchs Beifahrerfenster. Sie dachte gar nicht daran auszusteigen. Jim bestand darauf, Lothar Sahm kräftig die Hand zu schütteln.
„Er hat mir eine tolle Stelle gezeigt, eine Art Canyon-Fluss-System, an dem geangelt wird, irre Bilder könnten das werden. Hat ein bisschen länger gedauert wegen der ständigen Wolken.“
„Und was habt ihr jetzt Schönes vor?“
„Nichts, wieso? Ach so.“
Sie hüpfte aus dem Pickup.
„Bye Jim and thanx!“
Jim düste davon.
„Hast du irgendwas?“, fragte sie unbeschwert.
„Ja – Hunger!“
Sie sperrte den Van auf und stieg ein.
„Schon gut, ich weiß, wir hatten 18 Uhr ausgemacht. Aber das war die Chance, jeden Moment hätte es ganz zuziehen können, ich wollte einfach alles im Kasten haben. Okay?“
„Nichts ist okay! Du hättest mir wenigstens einen Zettel ans Auto hängen können, wo du bist und dass es länger dauern kann.“
„Aber das wusste ich doch vorher nicht!“
„Wir haben noch nicht mal ein Motel!“
„Da vorne ist doch eines, keine Panik! Hey, und ich will dir mal was sagen: Das ist meine Reise, klar? Die Fotos gehen vor, das war von Anfang an ausgemacht. Außerdem bist du ein erwachsener Mensch, du wirst dich doch mal ein paar Stunden allein beschäftigen können.“
„Ob das jetzt deine Reise ist und was immer das bedeuten soll – wer ein bisschen Anstand hat, haut nicht einfach stundenlang ab!“
„Ich muss mich doch nicht für jeden Schritt rechtfertigen! Du hättest dir denken können, dass ich irgendwo arbeite.“
„Arbeite, ts!“
Er sagte das mit Gedanken an Latzhosen-Jim; sie verstand es als unerhörte Geringschätzung ihres Auftrags. Von da an herrschte Schweigen. Eisige Gesichter beim Ausladen, starre Mienen beim gemeinsamen Abendessen im weitläufig-wartesaalähnlichen Gastraum eines chinesischen Restaurants, in dem sie nach 22 Uhr längst die letzten Gäste waren.
Feindschaftliche Blicke noch immer, als Ellen, auf ihrer Seite des Bettes hockend, wie jede Nacht die Route des nächsten Tages studierte. Lothar Sahm schloss die Augen und stellte sich schlafend. Es war einer seiner Reiseführer, den sie zurate zog. Als sie fertig war, lehnte sie sich über ihn, um das Büchlein auf seinem Bettkasten abzulegen. Er öffnete die Augen, sie blickte, über ihn gebeugt, zu ihm hinab. Ein verlockender warmer Duft verbreitete sich aus ihrer Achsel, Deo und darunter eine Spur von Körpergeruch. Sie wollte sich gerade auf ihre Seite zurückrollen, da umfasste er ihre Taille und zog sie zu sich heran. Sie gab seiner sanft drängenden Bewegung nach und ließ sich auf ihn sinken. Sie küssten sich. Es war nicht viel auszuziehen bei dieser Hitze, die Unterhose bei ihm, ein Hemdchen und dünne Shorts bei ihr. Der Rest ging rasch und schweigend, ohne ausgedehnte Zärtlichkeiten. Er konnte nicht anders, hatte ein schlechtes Gewissen deswegen und schlief doch bald darauf ein.
Bis zum Morgen hatte sich die Ansicht bei ihm durchgesetzt, dass auch ihr nicht daran lag, wegen eines Zugewinns an Nähe auf einer Ebene die grundsätzlichen Umgangsformen auf anderer Ebene zu vertiefen. Seine Welt war wieder im Lot, als um 5.30 Uhr der Wecker summte und wohlbekannte Abläufe in Gang setzte: Sprung aus dem Bett, Atemübungen, Kameras zählen, ab unter die Dusche, Wecker summen lassen. Als Ellen aus dem Bad zurückkam, hockte er auf der Bettkante und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
„Was ich dich die ganze Zeit schon fragen wollte: Warum zählst du eigentlich jeden Morgen deine Kameras?“
„Wegen eines eventuellen Schadenersatzes. Wenn dir was aus dem Hotelzimmer geklaut wird, musst du es gleich melden, nach dem Auschecken ist es zu spät.“
Er notierte, während sie sich anzog: Auch vernünftig klingende Begründungen seltsamen Verhaltens machen dieses Verhalten nicht weniger seltsam.
Ellen reckte den Hals.
„Und ich frage mich, was du da ständig aufzuschreiben hast.“
Die folgenden Tage setzte sich fort, was in Watson Lake begonnen hatte: tagsüber keine Zärtlichkeiten, nicht mal flüchtige; und auch nachts hielt sich alles, was normalerweise eine Liebesbeziehung ausmacht, sehr in Grenzen. In der kurzen Zeit vor dem Einschlafen verschafften sie sich gegenseitig Befriedigung, körperlich, und danach zuweilen Erleichterung durch Reden. Am
Weitere Kostenlose Bücher