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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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war ihm, gerade jetzt, da er überhaupt keine Zeit dafür hatte, wieder wichtiger als alles andere geworden, er sehnte den Abschluss der Arbeit am Reiseführer herbei, um endlich wieder ganz darin aufgehen zu können. Flüchtige Ideen schrieb er konsequent auf, auch längere, zusammenhängende Passagen, auch an diesem Nachmittag. Vor allem deshalb brauchte er lange für seinen Artikel, lange für den Kommentar – vielleicht zögerte er auch unbewusst, weil es ihn grauste, dieser Czibull von früher zu begegnen. Unterdessen war Steffi von ihrem Gefecht zurückgekommen, hatte auf neugierige Blicke und geflüsterte Fragen mit konsequent ablehnenden Gesten reagiert und so stark und stolz und kampfbereit gewirkt, wie er es ihr nie zugetraut hatte. Die Solidarität der Kollegen musste nicht versichert werden, sie lag im Raum. Auf welcher Seite aber stand er? Als es unumgänglich wurde, klopfte er an Liane Czibulls Bürotür.
    „Was ist denn?“
    Er trat ein und schloss die Tür. Das kurze Gespräch, das sich nun anließ, führte sie ihrem Computer zugewandt, so desinteressiert an ihrem Gegenüber wie einst, es endete eben damit, dass sie ihm ungehalten eine Glosse zu schreiben befahl.
    Kurz vor halb acht rief Ellen an, wo er denn bleibe. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Vorsatz, wenigstens halbwegs gute Arbeit zu liefern, fahren lassen. Es fiel ihm einfach nichts ein. Er schrieb den blödsinnigsten Text seines Lebens, nur um die 70 Zeilen irgendwie zu füllen, und die Czibull schickte ihn in den Feierabend, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Er war überzeugt, am nächsten Morgen einen Rüffel zu bekommen für den grauenvollen Unfug, den er da verzapft hatte, aber das war ihm egal. Er war geschafft, am liebsten wäre er nach Hause gefahren, aber wenn es denn sein musste, ließ er halt auch noch Ellens Dias über sich ergehen. Hauptsache raus aus dieser Redaktion, weg von allem Ärger. Ellens Wohnwagen, mit dem er zwar Enge und Unbehaglichkeit, aber auch Freiheit und weite Welt assoziierte, erschien ihm an diesem Abend als glücksverheißende Oase, als Ort der Zuflucht.
    Doch darin sollte er sich gründlich irren. Ellen war schon mal sauer, dass er so spät kam.
    „Es gibt halt auch Leute, die nicht den ganzen Tag machen können, was sie gerade wollen“, wehrte er sich. Ellen missverstand seinen freundlich-ironischen Unterton als bösartigen Angriff, ließ es aber zunächst gut sein. Sie war fleißig gewesen an diesem Tag und überzeugt, ihre Ausbeute würde ihn beflügeln und randvoll mit Ideen für den nächsten Tag nach Hause entlassen. Als der Diaschubkasten durch den Projektor war, fiel ihm aber nicht etwa Lob ein, sondern beiläufig geäußerte Kritik.
    „Willst du dem Verlag allen Ernstes fünf Mal das gleiche Motiv von dieser Scheune anbieten?“
    „Erstens waren es nur vier Scheunen-Dias, und zwar sehr verschiedene, und zweitens ist das ein fotografischer Kunstgriff, auch mal zu zeigen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Objekt aus leicht veränderter Perspektive wirken kann, da entsteht nämlich ein plastischer Eindruck. Vielleicht solltest du dich bei diesem Projekt auf dein Fachgebiet beschränken.“
    „Ach, aber du gibst mir gute Ratschläge für meine Texte?! Du kannst mir glauben, das ist auch nicht unbedingt dein Fachgebiet.“
    „Aber das ist mein Projekt, ich habe die Gesamtverantwortung und nach der mittlerweile vierten Reise außerdem ein bisschen mehr Gespür für dieses Land und seine Menschen als jemand, der gerade ein einziges Mal dort war, und das auch nur als Beifahrer.“
    Müde und genervt drückte sich Lothar Sahm aus seinem Stuhl und stakste über das Durcheinander dieses Dia-Abends hinweg zur Tür. Er hatte genug an Aggression geschluckt an diesem Tag, aber eine letzte Bemerkung konnte er sich doch nicht verkneifen.
    „Anscheinend siehst du mich als so was wie deinen Handlanger. Ich sehe uns eher als Partner, nur unter der Bedingung bin ich bereit mitzumachen.“
    „Wie du deine Rolle definierst, ist mir egal. Ob du mitmachst oder nicht, ist schon entschieden. Du hast einen Vertrag unterschrieben, vergiss das nicht! Ich hasse das, so deutlich zu werden, weil uns mehr verbindet als Partnerschaft, aber halbe-halbe, das betrifft nicht nur die Tantiemen, sondern auch die Arbeitsleistung!“
    „Ich habe jetzt keine Lust zu streiten. Hier hast du was zu lesen!“
    Er legte ihr seine Tagesausbeute auf den Tisch und nahm in zwei müden Schritten das Wohnwagentreppchen

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