Köhler, Manfred
aber es wird nichts aus dem Reiseführer.“
Er reichte ihr einen Ausdruck der E-Mail.
Sie überflog das Schreiben und zerknüllte es.
„Das muss noch gar nichts heißen.“
Er war so überrascht über ihre Gelassenheit, dass er laut auflachte.
„Das ist eine Absage. Die veröffentlichen keinen Reiseführer mit uns. Aber mit dir wollen sie doch immerhin einen Kalender machen.“
„Den können sie gern zusätzlich machen. Pass auf, ich habe einen Plan.“
Sie wechselte mit einem Hinkeschritt von ihrem Mini-Arbeitstisch zu ihrem Mini-Esstisch. Er setzte sich dazu.
„Wir feuern aus allen Rohren. Ich liefere denen zunächst mal eine so eng begrenzte und zugleich umfassende Bildauswahl, dass sie gar nichts auszusetzen haben können. Punkt 2: Wir schreiben beide über unsere Erlebnisse, so sind die Texte vielfältiger. Punkt 3: ...“
„Ellen, also ich weiß nicht. Ich glaube, das alles spielt für die doch gar keine Rolle. Denen geht es nur darum, dass unser erster Reiseführer nicht zu verkaufen war, also wird kein zweiter gemacht.“
„Das ist der nächste Punkt meines Plans. Ich habe doch Zeit in den nächsten drei Wochen, weil, die Dias sind schon gesichtet und sonst habe ich auch weiter nichts zu tun als den üblichen Kleinscheiß. Ich analysiere alles, was zum Thema schon veröffentlicht wurde und wie es ankam, und darauf aufbauend liefere ich ihnen eine Verkaufsstrategie. Und was die Texte betrifft, möchte ich dich bitten, ein bisschen weniger gezwungen zu schreiben.“
Lothar Sahm erstarrte.
„Also ich glaube kaum, dass du dir da ein Urteil erlauben kannst.“
„Das glaube ich schon, dein Strickmuster ist zu offensichtlich. In jedem deiner Personenporträts diskutierst du irgendwelche Marotten hin und her, bis du noch aus dem letzten Wurzelsepp am Wegesrand eine tragisch-gebrochene Figur gemacht hast.“
„Ja und? Schon mal was von These – Antithese – Synthese gehört?“
„These, Antithese, du lieber Himmel! Du sollst einen Reiseführer schreiben, kein politisches Manifest. Der alte Joe mit seinem Gerümpel zum Beispiel, kannst du nicht einfach beschreiben, wie er da mit seinem Büffelhut am Straßenrand sitzt? Das ist doch spannend genug.“
„Wie er da sitzt, sieht man ja wohl auf deinen Fotos. Die Leute wollen von mir wissen, warum er da sitzt.“
„Warum er da sitzt, weiß er doch selber nicht. Weißt du denn, warum du in der Rundschau sitzt?“
„Natürlich weiß ich das! Aber...“
„Ach – warum denn?“
Lothar Sahm, von der prompten Nachfrage überrumpelt, kratzte sich am Hinterkopf.
„Na ja, also... ich sitze da ganz zweifellos, weil mir der Beruf liegt und weil ich ein gewisses Talent dafür habe, weil ich mal Freude dran hatte. Und weil ich schließlich irgendwie Geld verdienen muss.“
Sie machte ein Geräusch durch die Nase, ein angedeutetes, spöttisches Lachen.
„Weil du mal Freude daran hattest!“
Er schüttelte verärgert den Kopf und stand auf.
„Ich weiß gar nicht, was wir noch diskutieren. Ich will ja wirklich kein Pessimist sein...“
„Bist du aber.“
„Absage ist Absage, verdammt noch mal! Was soll das überhaupt heißen, wir schreiben beide über unsere Erlebnisse?“
„Das heißt, ich schreibe auf jeden Fall auch über die Reise, egal was du machst. Ich gebe das Projekt nicht verloren!“
„Und wenn wir beide schreiben und die entscheiden sich für eine Version, was ist dann mit der anderen?“
„Die ist dann umsonst geschrieben worden.“
Das ist Futterneid, nichts anderes! – Aber es half nichts, sich das vorzusagen, Lothar Sahm verspürte das dringende Bedürfnis, entgegen aller Zweifel sein Reiseführer-Manuskript zu Ende zu bringen. Hätte Ellen sich mit ihm zusammen in die Absage gefügt, er hätte aufgeatmet; aber der Gedanke, dass sie eigene Texte schreiben und damit womöglich durchkommen würde, dass er dann in diesem Reiseführer nicht mal erwähnt würde, obwohl er doch so großen Anteil an seiner Entstehung gehabt hätte, schien ihm unerträglich.
Also setzte er sich am Samstagmorgen kurz vor 7 Uhr mit einer Thermoskanne voll Milchkaffee in sein Arbeitszimmer, startete seinen Computer und suchte in seinen Alaska-Notizen nach einem Ansatz zum Weiterschreiben. Der alte Joe mit seinem Büffelhut, über den hatte er sehr viele Stichpunkte festgehalten, weil der einer war, der kompromisslos seinen eigenen Kram machte, sich nicht einfügte und lieber die Kriegsbemalung anlegte als klein
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