Köhler, Manfred
Fernsehsender, nicht zur besten, aber zu einer sehr guten Sendezeit, was immer das heißen mochte. Er würde diese Sendung moderieren und auch eigenen artistischen Vorführungen beisteuern. Und sein Abitur hatte er übrigens mit einem Notendurchschnitt von 1,9 bestanden.
„Da sagen Sie nichts mehr, oder, Herr Sahm? Wäre das alles nicht mal einen Hintergrundbericht auf Seite 2 wert? Schauen Sie sich mal die neuesten Bilder an, da könnte man sogar mal eine ganze Seite damit gestalten.“
Lothar Sahm staunte. Er staunte darüber, wie weit man mit ein bisschen Sportlichkeit, Charme und leidlich gutem Aussehen kommen konnte, wenn etwas Wesentliches hinzutrat: unerschütterliche Beharrlichkeit. Denn die brachte es mit sich, dass man im Laufe der Zeit viele Bekannte und damit potentielle Protektoren in der Szene kennenlernte, dass man in das Milieu hineinwuchs und dadurch zweifelsohne an Ausstrahlung und Bühnenpräsenz gewann. Das mangelnde Talent spielte dann schon fast keine Rolle mehr, das konnte man durch große Gesten und flotte Sprüche ausgleichen.
„Dann sind Sie ja jetzt am Ziel. Gratuliere!“
„Am Ziel, mein Gott, Herr Sahm“, zierte er sich. „Wann ist man schon am Ziel? Jetzt geht es, meine ich, erst richtig los. Wir haben doch auch reichlich internationale Anfragen, aber jetzt soll sich der Pati Leon erst einmal ganz auf seine Fernseh-Show konzentrieren. Für andere ist das schon eine Lebensaufgabe, eine Sendung zu moderieren, aber ihm gelingt das spielend, mit links geradezu, als hätte er nie was anderes gemacht. Dabei ist er ja eigentlich Artist und hat da schon ein überdurchschnittliches Talent. Wenn Sie zu uns kommen wegen des Artikels, muss ich Ihnen mal die neuesten Digitalkameramitschnitte vorspielen.“
Angesichts seiner dreisten Vereinnahmung hatte er Lust, ihn abblitzen zu lassen. Aber er war neugierig, vielleicht steckte da sogar eine gute Geschichte drin.
„Also, wann haben Sie denn nun einen Termin frei für uns?“ Herbert Leonheimer starrte ihn erwartungsvoll an. Es fiel ihm sichtlich immer schwerer, sich zum Lächeln zu zwingen. Lothar Sahm blätterte in seinem Kalender.
„Morgen Nachmittag ginge.“
„Fein, ich erwarte Sie um 14 Uhr.“
Kaum hatte er den Termin in seinen Kalender eingetragen und war von der drängenden Gegenwart dieses Manager-Onkels erlöst, ärgerte es ihn maßlos, sich derart von ihm nötigen zu lassen. Wenn man es genau nahm, würde nichts anderes dabei herauskommen als ein Werbetext mit der Botschaft: Schaut meine Sendung und kauft Eintrittskarten für meine Live-Auftritte. Von Werbesprüchen aber war er geplagt genug, allein an diesem Tag standen ihm noch zwei PR-Termine bevor. Bei denen recherchierte er folgendes für seine Seite 2:
Thema „30jähriges Bestehen der Apotheke am Marktplatz“: ...für uns steht der Kunde absolut im Mittelpunkt, wir sind immer bemüht, das Unmögliche möglich zu machen; ...der Kunde schätzt besonders unser angenehmes Ambiente; ...bei uns wird Service großgeschrieben; ...zu unserem Erfolg hat beigetragen, dass wir uns auch immer für die Region engagiert haben; ...unser Jubiläum feiern wir mit vielen Aktionen in der Jubiläumswoche.
Thema „Neueröffnung des Fußpflegestudios Majas Atelier “: ...durch ein hochmodernes Computerprogramm können wir den Kunden nach den neuesten Gesichtspunkten beraten; ...wir haben bei der Neugestaltung vor allem auf ein wohltuendes Ambiente Wert gelegt; ...umfassender Service zum Wohle des Kunden ist für uns oberstes Gebot; ...unsere Region liegt uns besonders am Herzen, der Kunde kann sich daher bei uns wie zu Hause fühlen; ...zur Neueröffnung überraschen wir unsere Kunden mit vielen Attraktionen.
Das Angenehme an solchen Artikeln war, dass man sie nach Schema F in ein paar Minuten herunterschreiben konnte, eigentlich hatte man nur Firmennamen und Anlass zu variieren. Was Lothar Sahm an solchen Artikeln unangenehm berührte, war der Atem von Vergänglichkeit, mit dem sie ihn anbliesen. Wie gestern erschien es ihm, dass er über das 25jährige Bestehen der Apotheke am Marktplatz geschrieben hatte, und was hatte sich getan seitdem? Eigentlich hätte er den Artikel von damals heraussuchen und jede 25 durch eine 30 austauschen können. Und wie lange würde es ihm vorkommen, dass er über das fünfjährige Bestehen des Fußpflegestudios Majas Atelier würde schreiben müssen? Dann würde er über 40 sein, der Rente fast näher als seiner Schulzeit, aber was würde aus seinem
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