Kölner Kreuzigung
Händen und rammte ihn dem nach vorne torkelnden Lenau mit all seiner Kraft in den Bauch. Die Spitze durchstieß den schwarzen Overall, Stoff faserte an den Seiten auf und verfärbte sich kaum einen Moment später dunkelrot. Lenaus Augen sahen Marius verständnislos an. Seine Hände packten den Nagel, als er zurücktaumelte, aber er zitterte bereits zu stark, um ihn herausziehen zu können. Wenige Schritte von Marius entfernt, sackte er auf den Boden und blieb zuckend liegen.
Marius versuchte, sich die Schlinge vom Hals zu reißen, doch es gelang ihm nicht. Auch wenn er seinen Widersacher besiegt hatte, frei war er noch lange nicht. Verzweifelt rüttelte er an dem Holz hinter ihm, jedoch zog sich die Schlinge dadurch nur fester um seinen Hals. Wütend trat er mit dem Fuß gegen den Balken und fühlte eine leichte Bewegung. Mit seinem ganzen Körper warf er sich nun gegen das Holz hinter ihm, Splitter bohrten sich in seinen nackten Rücken, aber er ignorierte den Schmerz. Er wollte nur noch diesen verdammten Holzstamm aus seiner Verankerung holen, mit welchen Mitteln auch immer.
Wieder und immer wieder trat er gegen das Holz, stieß mit dem Körper dagegen, und schließlich löste sich das Holz mit einem ächzenden Klirren aus seiner Verankerung. Marius warf sich gefesselt und immer noch an das Kreuz gebunden über den Rand der Betonwanne und fiel mit den Knien voran auf den harten Boden.
Lenau zitterte nach wie vor, doch Marius beachtete ihn nicht weiter. Raus, nur raus, wollte er. Langsam richtete er sich auf, versuchte sich von dem Kreuz zu befreien, aber es gelang ihm nicht. So torkelte er bis auf einen Lendenschurz und eine Dornenkrone nackt und an ein Kreuz gefesselt zu einer Tür, die sich zuvor hinter seinem Rücken befunden hatte. Die Tür freilich war abgeschlossen. Lenau war auf Nummer sicher gegangen. Marius musste zurück und durchsuchte mit den an das Kreuz gefesselten Händen mühsam die Taschen des immer noch zuckenden Mörders, das schmale Kreuz immer noch auf seinem Rücken. Lenau versuchte sich auf den Rücken zu drehen, aber verriet Marius auf diese Weise nur, in welcher Tasche sich der Schlüssel befand. Marius nestelte ihn aus der Brusttasche, stand auf und torkelte, von den Schmerzen geschwächt und unter dem Gewicht des Holzes gebeugt, zur Tür, schloss sie auf und fand sich auf einem verlassenen Fabrikhof wieder. Auch dieser war durch ein Tor versperrt, aber auch dafür fand Marius den Schlüssel, schob das schwere Schiebetor mit der Schulter auf und stürzte hinaus auf die Straße.
Um die Stimmung zu heben, hatte sich Hannes Bergkamp auf den Weg zum Kiosk gemacht und ihnen beiden einen Kaffee geholt. Der Pappbecher wärmte Paula Wagners Hände, gesprochen hatten die beiden dennoch nicht. Stattdessen lauschten sie gelangweilt den Routinemeldungen im Polizeifunk.
›Grüner Weg, ein offensichtlich verwirrter Mann auf der Straße.‹ Nichts Besonderes. Routine. Vielleicht etwas zu früh am Tag für alkoholbedingte Aussetzer, aber mittlerweile hatten sich die meisten Polizisten an solche Meldungen auch am Nachmittag gewöhnt. Paula Wagner und Hannes Bergkamp hörten nur mit einem Ohr hin.
»Vielleicht sollten wir das Radio anmachen?«, schlug Bergkamp vor, dem die Stille zwischen ihnen zunehmend auf die Nerven ging.
»Mach, was du willst.« Paula Wagner nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Sie war unentschlossen, ob sie ihn trinken oder die wärmende Flüssigkeit so lange wie möglich im Becher behalten sollte, um die Hände gegen die Kälte zu schützen. Hannes Bergkamp beugte sich nach vorn, um das Radio an und den Polizeifunk abzuschalten. Paula Wagner beobachtete eine Mutter mit einem Kinderwagen. Die Frau hatte ungefähr ihr Alter und neben dem Kinderwagen lief ein schreiendes älteres Kind am Arm der Mutter. Mit halbem Ohr hörte Paula Wagner weiter den Stimmen im Polizeifunk zu.
›Das hier ist wirklich bizarr. Wir brauchen schleunigst einen Krankenwagen. Der Mann ist verletzt. Und er hat eine Art Kreuz auf dem Rücken.‹
›Eine Tätowierung?‹
›Nein, ein echtes Holzkreuz.‹
Bevor Hannes Bergkamp protestieren konnte, hatte Paula Wagner den Kaffeebecher zwischen die Zähne geklemmt, den Wagen gestartet und war mit quietschenden Reifen aus der Parklücke herausgeschossen.
Wenige Minuten später trafen sie am Grünen Weg ein. Ein Krankenwagen und zwei Polizeiwagen parkten auf der Straße. Paula Wagner sah außerdem Staatsanwalt Steins Cayenne. Ein Holzkreuz, etwa
Weitere Kostenlose Bücher