Kölner Kreuzigung
genommen haben wir also faktische Beweise für die Morde, aber kein Motiv, und Lenau kann uns ja nichts mehr sagen.«
Marius schwieg dieses Mal. Nachdem Paula Wagner gegangen war, kam eine Schwester, um ihm die Verbände zu wechseln. Kurze Zeit später schlief er ein.
Erst zwei Tage danach verließ er das erste Mal wieder das Krankenhaus. Allerdings nur, um in den irritierend warmen Strahlen der Novembersonne einen kleinen Spaziergang über das Krankenhausgelände zu machen. Er hatte die letzten Stunden versucht, nicht an den Fall zu denken. Öfter als ihm lieb war, dachte er an Friederike Brock, die ihn nicht besucht hatte. Doch sein erster Anruf galt einer anderen Frau, und sie nahm nach dem ersten Klingeln hab.
»Heiliger Jesus Christus, der Detektiv mit der Dornenkrone! Gibst du mir ein Exklusivinterview?«
»Danke, Verena, es geht mir gut.«
»Oh, seit wann so sensibel? Du warst doch früher nicht so. Also was ist jetzt mit meinem Interview? Ich bring dich in unserer Sendung ganz groß raus.«
»Nimm’s mir nicht übel, mein Bedarf an Öffentlichkeit ist für den Augenblick gedeckt. Aber du könntest mir ein paar Fragen beantworten.«
»Quid pro quo, Marius, das weißt du doch.«
»Es tut mir leid, im Moment habe ich dir nichts anzubieten.« Das Schweigen am anderen Ende der Leitung ließ Marius schon befürchten, seine Gesprächspartnerin hätte aufgelegt.
»Was willst du wissen?«
»Vor allem, woher du deine Informationen hast, Alba N. Vettore!«
»Ein hübscher Name, nicht wahr?«
»Du warst schon immer verliebt in Anagramme.«
»Die lassen einen nicht sitzen.« Marius seufzte und musste an Lutz Heilburg in Fischelbach denken. Manche Geschichten endeten wirklich nie.
»Also: Wer hat dir und der Polizei den Stadtrat geliefert?«
»Geheim. Aber der Tipp ging exklusiv an mich.«
»Und du hast ihn an die Polizei weitergegeben?« Marius war fassungslos. Er hatte vielleicht keine wirklich gute Meinung von Verena Talbot, aber das hätte er ihr nicht zugetraut.
»Gib zu, dass die Story so viel besser ist. Von den Bildern ganz zu schweigen.«
Marius holte tief Luft. »Aber wer hat ihn verraten?«
»Kann ich nicht sagen«. Verena kicherte in ihr Telefon.
»Eine Familiengeschichte nehme ich an?«, setzte Marius nach.
»So würde das Stadtrat Hochkirchen sehen, ja. Ob die Familie aber etwas von dieser kleinen Indiskretion haben wird, ist zweifelhaft. Schließlich fällt das bisschen Rumhuren mit illegalen Nutten gar nicht so auf, wenn es Gerüchte über Bilderraub und sogar Mord gibt. Vielleicht kannst du mir da etwas drüber erzählen?« Marius beendete das Gespräch ohne eine Antwort und setzte seinen kleinen Spaziergang fort.
Er erinnerte sich an früher, als das Gelände der Universitätsklinik, vom Kunsthistorischen Institut nur fünf Minuten Fußweg entfernt, noch eine Ansammlung älterer und neuerer Gebäude in einer Art weiträumigen Park gewesen war. Heutzutage aber schien alles zugebaut zu sein. Neue Gebäude, denen man ihre Planung am Computer ansah, drängten sich auf dem Gelände. Marius musste ein Stück weit gehen, ehe er etwas Grün fand.
Als er im hinteren Bereich der Klinik einen Parkweg entlangging, kam ein schwarzer Leichenwagen aus einer Tiefgarage gefahren. Der Detektiv konnte einen hölzernen Sarg darin erkennen. In dem Fiesta hinter dem Leichenwagen saß eine blonde, verweinte Frau. Marius hatte ihr Bild auf Boris Lenaus Schreibtisch gesehen. Neben den Porträts zweier Kinder.
Am Nachmittag verließ er das Krankenhaus gegen den Willen eines jungen Arztes in Marius’ Alter. Er musste raus. Selbst wenn er Merheimer und Hochkirchen der Polizei überließ: Ein Rätsel musste noch gelöst werden.
Mit der heilen linken Hand klopfte er eine Stunde später die Holzvertäfelung in Brocks Büro ab und fand einen Hohlraum unter einem der beiden Fenster. Früher musste hier einmal ein Heizkörper gestanden haben, aber den gab es schon lange nicht mehr. Marius löste die Verkleidung und nahm einen unscheinbaren Umschlag aus Packpapier heraus. Er legte das Päckchen auf Brocks Tisch und setzte sich auf den Schreibtischstuhl seines toten Chefs. Vorsichtig wickelte er das Papier ab, ebenso das darunter liegende Handtuch, das er bereits seit Tagen im Bad vermisste und das den Schatz so gut es ging schützen sollte. Danach betrachtete er mit einer Mischung aus Verwunderung über Brock, Faszination über das Alter und den Wert des Bildes und analytischer Begeisterung des früheren
Weitere Kostenlose Bücher