Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
Marius Sandmanns Telefonnummer zu gelangen, hatte aber darauf verzichtet. Seitdem sie im Alleingang vor über einem Jahr einen der spektakulärsten Mordfälle in der jüngeren Kölner Kriminalgeschichte gelöst hatte – ausgerechnet gemeinsam mit eben diesem Marius Sandmann! – , hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt.
Deshalb hatte er sich nach der Pressekonferenz in sein Büro begeben, die Festnetz- und Mobilfunknummer von Sandmann recherchiert, doch weder unter dem einen noch dem anderen Anschluss hatte sich der Detektiv gemeldet. Bergkamp hatte gehofft, ihn ins Präsidium bestellen zu können. Stattdessen musste er selbst raus und stand nun vor einem schmucklosen Mietshaus auf der Vogelsanger Straße. Er schellte, nichts geschah. Hatte Sandmann Wind bekommen? Bergkamp war unschlüssig, ob er ihm den Mord zutraute. In jedem Fall war er ein wichtiger Zeuge und musste vernommen werden.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Eine ältere Frau kam gebeugt aus dem Haus und blickte den Polizisten von unten herauf misstrauisch an. Der Hauptkommissar versuchte, sich an der Alten vorbei in den Hausflur zu schieben. Die Frau versperrte ihm mit ihrem kleinen, massigen Körper den Weg. »Wo wollen Sie hin, junger Mann?«
Bergkamp zückte seinen Ausweis und hielt ihn der Frau unter die Nase. »Polizei«, sagte er. Die Frau machte keinerlei Anstalten, beiseite zu gehen.
»Ja und?«
»Ich muss zu Sandmann, dem Detektiv.«
»Ach, können Sie Ihre Fälle nicht mehr allein lösen?« Sie machte Platz und Bergkamp zwängte sich an ihr vorbei.
Nach kurzem Suchen drückte er einen altmodischen Lichtschalter. Rechts von ihm waren zwei lange Reihen von Briefkästen in die Wand geschraubt. Als er kein Geräusch im Flur hörte, griff er mit der flachen Hand durch Sandmanns Briefschlitz und holte ein paar Umschläge hinaus, fand nichts, was ihn interessierte. Am Ende des Flurs befand sich der Eingang zur Detektei. Er schellte zweimal. Keine Reaktion.
Links von der Detektei gab es einen offenen Durchgang zum Hinterhof. Er ging hinaus und betrachtete die rückwärtige Fassade. Niemand saß in den Fenstern und beobachtete ihn. Die Hand über den Augen schaute er in die Fenster im Erdgeschoss hinein. Er wusste genug über Kunst und Design, um zu erkennen, dass der junge Detektiv einige kostspielige Möbel besaß. Im hinteren Zimmer, einer Mischung aus Büro und Sportraum, führte eine Holztreppe ins erste Stockwerk. Offenbar war die Detektei im Erdgeschoss mit der Wohnung darüber verbunden. Leider konnte er nichts dort oben erkennen. Aus dem Treppenhausfenster des Nachbarhauses würde er vielleicht einen Blick in die Wohnung des Detektivs werfen können.
Das Betreten des Nachbargrundstückes fiel dem Polizisten deutlich leichter. Er verzichtete einfach darauf, sich als Polizist auszugeben, was früher noch fast jede Tür geöffnet hatte. Die Kollegen vom Einbruchsdezernat und der – intern spöttisch ›Prophylaxe & Zahnpflege‹ genannten – Einheit zur Kriminalitätsvorbeugung konnten so oft darauf hinweisen, wie sie wollten, irgendwer drückte einem immer auf. Nur nicht der Polizei.
Bergkamp brüllte kurz »Post!« durch das Treppenhaus, klapperte an den Briefkästen und wartete, bis alle Türen wieder geschlossen waren. Aus dem Treppenhausfenster zwischen dem ersten und zweiten Stock konnte er wunderbar in Sandmanns aufgeräumte Wohnung blicken. Auch hier überwogen Designstücke und antike Möbel. Seine eigene Einrichtung war an einem einzigen Wochenende in einem Möbelhaus am Stadtrand gekauft worden, kurz nachdem seine Frau ihn rausgeworfen hatte, und dürfte zusammen so viel wie das Bett des Privatdetektivs gekostet haben. Er wunderte sich, wie der Detektiv sich diese Möbel leisten konnte. Der Hauptkommissar war überzeugt, dass Sandmanns Beruf die Anschaffung solch ausgewählter Stücke nicht ermöglicht hatte. Kurz überlegte er, ob die Journalistin wohl genug verdiente, um sich so eine Wohnung leisten zu können. Er glaubte es nicht. Hatte Sandmanns offensichtlicher Reichtum möglicherweise mit dem Mord zu tun? Vielleicht war der Detektiv doch nicht nur Zeuge, sondern tatsächlich ihr Hauptverdächtiger. Der Gedanke gefiel dem Hauptkommissar. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Noch am gleichen Abend bekam Hannes Bergkamp sei- nen Haftbefehl gegen Marius Sandmann und die rot gekleideten Boten des Express trugen die Geschichte in alle Kneipen der Stadt. ›Privatdetektiv der Rollstuhlkiller?‹
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