Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
Raststätten und bei einem Herrenausstatter in Simmerath gekauft.
Der Blick auf den See ließ den Detektiv in den folgenden Tag zur Ruhe kommen. Sein Gedankenwust klarte auf, einmal ging er sogar schwimmen. Ein kurzer Versuch, bis das kalte Wasser ihn fast gelähmt hatte und er sich am Bootssteg festklammern musste. Danach waren die Schmerzen fast verschwunden. Zumindest für ein paar Stunden.
Nun stand Marius vor einem Garderobenspiegel. In dunkelgrauem Anzug, Hemd und Krawatte, dazu mit Kontaktlinsen, blickte ihn ein anderer Mensch an. Ein Fremder! Umso sicherer war er, dass die Verkleidung funktionieren würde. Da er sich seit fünf Tagen nicht rasiert hatte, vervollständigte ein dunkler Bart das Bild. Verena hatte ihn in seinem Plan bestätigt. »Jeder sucht nach einem Kerl mit schwarzer Brille und lässigem Sportoutfit. Keiner, der dich nicht sehr gut kennt, käme auf die Idee, dass der smarte Kerl im schicken Anzug der gleiche Mann ist.«
Die Wunden im Gesicht waren abgeschwollen. Ein dickes Pflaster über dem Auge erinnerte noch an die Nacht in der Bar. Unter dem Anzug sah es anders aus. Dort blühten die Blutergüsse in den schillerndsten Farben und immer noch schmerzte fast jede Bewegung. Es schellte. Das Taxi, das ihn zum Bahnhof bringen sollte. Er musste, er wollte zurück in die Stadt. Noch einmal blickte er auf den Rursee, auf dem ein einsames weißes Segelboot seine Runde drehte. Mit der nigelnagelneuen Reisetasche, in der sich überwiegend seine alten Klamotten befanden, ging er den schmalen Kiesweg hinauf, an dessen Ende das Taxi wartete.
27
Zwei Stunden später saß er in einer mit hellen Holzregalen zugestelltem Bibliothek. Nicht nur die Wände waren mit Regalen und Büchern verdeckt. In den winzigen Raum ragten zwei von beiden Seiten zugängliche Regalreihen hinein und hielten das Licht von den wertvollen Büchern in den Glasschränken rechts und links der Tür fern. Ein kleiner, penibel aufgeräumter Schreibtisch stand am einzigen freien Platz unter dem Fenster. Eine Olivetti nahm den größten Platz auf ihm ein. Stifte steckten nach Farben sortiert in einem Lederbecher, der die gleiche blassgrüne Farbe hatte wie die Schreibtischunterlage unter der Schreibmaschine. Marius blickte hinaus auf ein schmales Gartenstück, das sich durch eine Buchsbaumhecke von den Nachbargrundstücken absonderte. Sein Gesprächspartner musterte mit blassgrauen Augen unter kräftigen weißen Augenbrauen den jungen Mann im Anzug neugierig.
»Sie haben was aus sich gemacht«, sagte er sichtlich zufrieden. Der Bart, die Verkleidung und nicht zuletzt das Abdeckpuder schienen Wunder zu wirken. »Es ist mir immer eine Freude, wenn aus einem meiner Studenten etwas wird. Was machen Sie jetzt noch einmal beruflich?«
Marius zögerte, weil er sich den guten Eindruck, den der Anzug hinterlassen hatte, nicht mit einer ehrlichen Aussage zunichte machen wollte. Er kannte den Dünkel Professor Wallensteins zu gut. »Ich recherchiere«, antwortete er ausweichend und erntete einen scharfen Blick des Professors.
»Der Wissenschaft treu geblieben?« Marius nickte. »Für wen recherchieren Sie?«
»Ich untersuche ein paar Fragen zu Chargesheimers Bildband ›Unter Krahnenbäumen‹. Es geht um die Personen auf seinen Bildern.«
Die Falte zwischen den buschigen Augenbrauen vertiefte sich. »Das ist kein wissenschaftlicher Ansatz.«
»Nicht wirklich.«
»Wenn Sie Menschen suchen, sind Sie – ein Journalist?«
»Es geht tatsächlich um einen Artikel, den Sie vor einigen Jahren geschrieben haben.« Marius versuchte das Thema seiner beruflichen Ausrichtung zu umgehen, indem er direkt auf den Anlass seines Besuches zu sprechen kam.
Wallenstein ließ sich nicht ablenken. »Ich habe mit der Presse nicht mehr viel zu tun. Ehrlich gesagt verfolge ich das aktuelle Weltgeschehen nicht einmal. Es widert mich an. Für wen schreiben Sie?«
»Ich schreibe nicht. Ich bin Privatdetektiv.« Flucht nach vorn. Andernfalls würde Wallenstein sich festbeißen und Marius bekäme nie seine Antworten.
Der alte Mann wich zurück. »Ein Privatdetektiv? Ich wusste gar nicht, dass es die wirklich gibt. Kann man davon leben?«
»Man kommt zurecht.« Der Alte brummte. Marius war unsicher, ob zustimmend oder ablehnend. »Auch wenn Sie sich heute nicht mehr mit der Presse beschäftigen«, eine Entscheidung Wallensteins, über die Marius heilfroh war, wusste der Professor deshalb wohl nicht, dass nach ihm gefahndet wurde, »haben Sie früher recht
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