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Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)

Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)

Titel: Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Stefan Keller
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am
Melatengürtel gefahren. Hannes Bergkamp hatte etwas von einem dringenden Termin
gesagt, gefragt, ob sie am Abend noch etwas trinken gehen wollten, und war dann
verschwunden. So sehr ihr der Hauptkommissar zurzeit auf die Nerven ging, jetzt
wäre es ihr lieber gewesen, er wäre mitgekommen. Sie mochte dieses Institut nicht
besonders, noch weniger die neuerliche Begegnung mit Volker Brandt. Gegen ihre Gewohnheit
hatte sie sich Zeit genommen und war eine Runde auf dem gleich nebenan liegenden
Melatenfriedhof spazieren gewesen. Wie praktisch, die Rechtsmedizin neben Kölns
größten Friedhof zu bauen, dachte sie. Danach erst fühlte sie sich ausreichend gewappnet,
das Gebäude, einen gesichtslosen Zweckbau aus den 60er-Jahren, zu betreten.
    Doch dieses Gefühl verflog, als
sie in dem tristen Flur mit den nackten Steinwänden vor Brandts Büro wartete. Er
war noch im Gespräch mit einem Kollegen und wollte in zehn Minuten zu ihr kommen.
Nirgendwo im Haus hörte sie Stimmen oder ein Geräusch, das auf die Anwesenheit von
Menschen schließen ließ. Vermutlich hatten die meisten Mitarbeiter des Instituts
bereits Dienstschluss. Polizeibeamte schienen die einzigen Personen im öffentlichen
Dienst zu sein, die unregelmäßige, um nicht zu sagen, beschissene Arbeitszeiten
aushalten mussten. Auf der anderen Seite: Ob sie im Büro recherchierte, auf der
Straße einen Täter suchte oder allein zu Hause saß und ihren Gedanken zu Verbrechern
und Fällen nachhing, blieb sich gleich. Hinter der Tür bekam Brandts Stimme seine
charakteristische Schärfe. Nichts, was ihre Stimmung heben konnte. Bis vor wenigen
Monaten hatten sie eine kleine, auf gutem Sex basierende Affäre gepflegt, aber Sex
hin oder her, irgendwann war ihr Brandts Charakter zu viel geworden und sie hatte
ihn abserviert, nachdem sie mit ihm noch einmal ins Bett gestiegen war, was er ihr
besonders übel genommen hatte. Als ob es nicht gereicht hätte, dass sie seine Eitelkeit
gekränkt hatte, weil sie Schluss gemacht und nicht gewartet hatte, bis er die Geschichte
beendete, um sein Glück mal wieder zu Haus bei seiner Frau zu versuchen. Nun öffnete
sich endlich Brandts Bürotür und ein jungenhafter, aber zerknirscht aussehender
Rechtsmediziner ging gesenkten Blickes an ihr vorbei.
    »Frau Kommissarin!«, schallte es
aus dem Büro, als würde Paula Wagner zur Audienz eines Königs gerufen. Sie trat
ein, schloss die Tür und stand allein mit ihrem ehemaligen Liebhaber in einem Raum.
    »Hallo!« Ihre Stimme war ein leises,
heiseres Krächzen. Sie hasste sich dafür.
    »Was wollen Sie, Frau Wagner?« Paula
bedauerte für einen kurzen Augenblick, dass sie Volker Brandt nie nahe genug gekommen
war, um zu erfahren, ob sich hinter der Schärfe seiner Stimme die gleiche Unsicherheit
verbarg, die sie empfand. »Doch noch mal ficken?«
    »Sie wollten weitere Untersuchungen
an unserer Rheinleiche durchführen, Herr Doktor. Bisher habe ich keinen Bericht
auf meinem Schreibtisch gefunden.«
    Volker Brandt, der gerade ein Glas
mit Wasser zum Mund führte, hielt mitten in der Bewegung inne und schaute Paula
Wagner an, als habe sie mit Dartpfeilen auf die Aquarelle an der Wand geschossen,
die allesamt Motive aus Italien zeigten und die Brandt selber gemalt hatte, wie
er gerne stolz erwähnte.
    »Kommen Sie mal mit!« Der Rechtsmediziner
stellte sein Glas auf den Tisch und nahm einen Schlüsselbund in die Hand. Ohne ein
weiteres Wort ging er an ihr vorbei auf den Flur. Paula Wagner folgte ihm ins Treppenhaus
und hinunter in den Keller. Hier lagerten die Leichen, mit denen sich das Institut
beschäftigen musste. Wahllos zog Volker Brandt einige der Schubfächer in dem gekühlten
Raum auf. »Nummer 17, junger Mann, tot in seiner Wohnung aufgefunden. Verdacht auf
Drogendelikt. Nummer 23, ein junges Mädchen, gerade 18, ungeklärte Todesursache,
Nummer 12, ein besonders schönes Exemplar, Opfer eines Unfalls mit einer Sägemaschine.
Oder eines Anschlags mit derselben. Und apropos Anschlag«, jetzt flogen mit noch
schnelleren Bewegungen einige weitere Fächer auf, »die Nummern 3, 4, 5, 7, 9, 11
und 19, Opfer des Attentats vom 11. November. Sofern wir ihre Einzelteile zuordnen
konnten. Alles andere, was von diesem Abend übrig blieb, finden Sie hier, in Fach
28.«
    Brandt war neben dem letzten Fach
stehen geblieben, unter einem weißen Laken waren nicht weiter zu differenzierende
Umrisse zu erkennen. Für Paula sah es aus, als hätte jemand ein paar Steine unter
einer Decke
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