König 01 - Königsmörder
Luft. »Conroyd kreist über mir, und er wird nicht bis in alle Ewigkeit warten. Alles, was zwischen Eurem Königreich und der Katastrophe steht, Vater, ist ein ungebildeter olkischer Fischer! Wie konnte das geschehen? Warum ist es geschehen? Erklärt es mir bitte,
was hat das zu bedeuten?«
Dann warf er sich neben dem Sarg seiner Mutter zu Boden, umfasste ihre kalten, steinernen Schultern mit beiden Händen und beschwor ihren Geist, ihn anzuhören.
»Mama… Mama… Während ich zum Mann heranwuchs, habe ich beobachtet, dass du allen, mit denen du zu tun hattest, mit Barmherzigkeit und Höflichkeit begegnet bist, ganz gleich, wo sie waren oder wie sie lebten. Bäcker, Metzger, Edelmann oder Kinderfrau, Dorane oder Olk, für dich waren alle gleich. Alles, was ich über das Leben und das Vermächtnis Barls weiß, über die Befolgung ihrer Lehren und Einhaltung ihrer Gesetze, habe ich von dir gelernt! Und jetzt habe ich gelernt, dass wahrscheinlich alles eine Lüge war. Also, was soll ich jetzt tun, Mama? Leite mich, ich flehe dich an! Ich habe einen Eid geleistet, dieses Königreich und seine heiligen Gesetze mit meinem Leben zu schützen! Wenn ich diesem Schwur treu bleibe, muss ich Asher töten. Und indem ich ihn töte, werde ich auch unser Königreich töten. Also, ganz gleich, was ich tue, ich bin verloren! Ist es das, was du für mich willst?«
Er ließ seine Mutter los und wandte sich wieder an Borne. »Ihr wart niemals ehrgeizig um des Ehrgeizes willen. Wenn Ihr gewollt hättet, dass die Zukunft dieses Königreichs in Conroyds Hände gelegt wird, wenn Ihr darauf vertraut hättet, dass er
allen
Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen würde und nicht nur unserem eigenen Volk, hättet Ihr die Räte niemals unter Druck gesetzt, um Fane zeugen zu dürfen. Ihr hättet ihn als Erben benannt. Aber das habt Ihr nicht getan. Ich weiß, Ihr wollt nicht, dass ich abdanke. Ich weiß, Ihr wollt Conroyd nicht als König sehen.« Er blickte in die marmornen Züge seines Vaters und suchte nach Antworten. Nach Hoffnung. »Ich nehme an, ich könnte mich irren. Es könnte sein, dass Asher der einzige Olk ist, der Magie wirken kann. Und wenn das so ist, ist es dann nicht eine Art Wunder? Dass er jetzt bei mir ist, in meiner dunkelsten Stunde? Bedeutet es nicht, dass er eigens zu einem bestimmten Grund geboren wurde? Muss ich ihn nicht im Geheimen beschützen, selbst wenn das bedeutet, dass ich selbst Barls Gesetz breche?«
Er blickte zu Fane hinüber. »Ich weiß, was du tun würdest, liebste Schwester«, bemerkte er geringschätzig. »Du würdest sagen, das Risiko sei zu groß. Du würdest alle Olken zusammentreiben und ins Gefängnis werfen. Oder sie zum Henker schicken, nur für den Fall, dass er nicht der Einzige ist. Du würdest sagen, es sei das, was Barl wollte, aber das glaube ich nicht. Wie kann er Barls Feind sein – unser Feind – und gleichzeitig der Schlüssel zum Überleben des Königreichs?«
Fane blieb still, das tat sie immer, wenn eine Frage nicht nach ihrem Geschmack war. Erschöpft ließ er sich an ihrem Sarg zu Boden gleiten. Er hatte heftige Kopfschmerzen. »Und wenn Durm doch noch aufwacht, was dann? Wo wird seine Treue liegen? Bei Barl? Beim Königreich? Beim Gedenken an einen toten König, den er wie einen Bruder liebte… oder bei dem verkrüppelten Versager, den sein Freund als Erben hinterlassen hat?«
Er drückte die Hände aufs Gesicht. »Ich bin so müde, Vater«, flüsterte er. »Ich bin verwirrt und habe Angst. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann. Asher ist jetzt der Einzige, dem ich vertrauen kann, und er hat noch größere Angst als ich. Barl steh mir bei, ich wünschte, Ihr wäret hier. Ich wünschte, ich wüsste, was Ihr von mir erwartet… was
Ihr
tun würdet…?«
Sein Vater antwortete nicht, was verschiedene Dinge hätte bedeuten können. Durchgefroren und hungrig und ohne Antworten kehrte er schließlich in den Turm zurück, wo man ihn barmherzigerweise in Ruhe ließ. Nach einem halbherzigen Essen kroch er ins Bett, schlief rasch ein – und träumte von seiner lachenden Schwester; von einem scharlachfarbenen Himmel, aus dem roter Regen blutete; vom Fall der Mauer.
Sosehr er sich auch bemühte, er konnte nicht aufwachen…
Pother Nix saß in einem Sessel und ging noch einmal seine Notizen über die verschiedenen Verwendungszwecke von Lorreisamen durch. Eine eigenartige Pflanze, der Lorrel, gut gegen Wundbrand und blutige Durchfälle. Man fand ihn nur an Lurs wilder
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