König 01 - Königsmörder
Königreich vor allem anderen zu dienen, es über alles zu stellen, selbst über die Bande persönlicher Beziehungen. Durm ist mein Freund. Wir haben viele Jahre gemeinsam im Kronrat gesessen, und sein Niedergang bricht mir das Herz. Doch trotzdem werde ich tun, was notwendig ist, um Lur vor Schaden zu bewahren. Und das Gleiche gilt für Euch, dessen bin ich gewiss. Nun frage ich mich, ob ich vielleicht ein wenig Zeit allein mit meinem Freund verbringen dürfte? Staatsangelegenheiten haben mich von seiner Seite ferngehalten, und ich würde ihm gern alle Kraft geben, die ihm helfen kann.«
»Selbstverständlich, Mylord«, sagte der greinende Pother. »Aber ich warne Euch, er steht unter schweren Beruhigungsmitteln. Falls er aufwachen sollte, seid so gut und lasst sofort nach mir schicken.«
Morg hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Geschlossen. Hörte Schritte näher kommen. Hörte Conroyd Jarralt leise lachen. Verführerisch. Ein Mann, der kurz vor einer Eroberung stand.
»Nun, Durm. Jetzt sind wir beide endlich allein«, flüsterte er. »Und ich werde Euch erzählen, wie die Geschichte endet…«
Es war nicht die Stimme eines Freundes. Gier schwang darin mit, tiefer Abscheu und ein seit langem ungestillter Ehrgeiz. Plötzlich wurde Morg klar, dass er sich in Gefahr befand.
In diesem Moment glaubte er, sein Geist werde bersten, so verzweifelt versuchte er, die benebelnden Ketten zu sprengen, die ihn gefangen hielten. Mit erzürntem Erstaunen erkannte er das scharfe Gefühl: Angst.
Angst?
Wann hatte er das letzte Mal etwas Derartiges empfunden? Hatte er so etwas
jemals
empfunden? Er konnte sich nicht daran erinnern. Nein, nein. Es war unmöglich. Morg – die stärkste Macht der Welt – fürchtete sich?
Niemals.
Oder… niemals vor dem heutigen Tag. Aber heute war er hilflos; er saß in der Falle, auf Gedeih und Verderb diesem Mann ausgeliefert, der das Verlangen nach Tod wie einen Gestank verströmte. Nach Durms Tod. Nach
seinem
Tod, solange er in Durms Körper blieb. Er hatte daran gedacht, das nächste Mal Herberge in Jarralt zu suchen. In ein oder zwei Tagen, sobald Durm endlich frei war von Drogen und er ungehindert handeln konnte.
Aber hier war das Gefäß nun, gemästet mit eigenen Ränken, und plötzlich hatte er keine
Zeit
mehr…
Er hörte das Geräusch von Holz, das über Kacheln kratzte, als ein Stuhl näher an das Bett gezogen wurde. Ein seufzendes Knarren, ein Rascheln von Seide auf Seide. Kühle Finger berührten fiebriges Fleisch.
»Ich habe Euch nie gemocht, Durm«, begann Jarralt. Der Sirup schmolz, und die nackte Klinge darin wurde offenbar. »Und Ihr habt mich nie gemocht. Dennoch haben wir unser törichtes Spiel der Verstellung weitergespielt, nicht wahr, damit Borne glücklich war. Damit die Menschen glücklich waren und unbeeinträchtigter Friede herrschte. Ihr habt immer geglaubt, ich liebte mich selbst mehr als dieses Königreich, aber Ihr habt Euch geirrt. Wenn das wahr gewesen wäre, hätte ich Bornes Recht zu herrschen schon vor langer Zeit angefochten.«
Mit größerer Willenskraft, als er sie je zuvor aufgeboten hatte, beruhigte Morg seinen tobenden Geist. Dann erlebte er ein weiteres unvertrautes Gefühl: Scham. Scham darüber, dass er sich auch nur für einen Moment derart hatte vergessen können. Es war Gift, dieses Fleisch. Es verunreinigte die Reinheit des ungefessel– ten Geistes, kettete ihn an Begierden und Impulse und Gebrechlichkeit. Er konnte es gar nicht erwarten, es hinter sich zu lassen.
Jarralt lachte leise. »Stellt bitte fest, dass ich in der Vergangenheit von Euch spreche, alter Mann. Gebrochener Mann. Besiegter Mann. Eure Amtszeit als Meistermagier ist vorüber. Schon bald werde ich Eure Stelle einnehmen, aber nicht für lange. Bevor das Jahr zu Ende geht, werde ich die Mittel haben, um das wackere Haus Torvick einzureißen, einen verkommenen Stein nach dem anderen. Dann wird Conroyd König sein. So wie ich schon vor fünfundzwanzig Jahren hätte König sein sollen. Was haltet Ihr
davon,
Durm?«
In den Tiefen seines Käfigs kämpfte auch Durm. Morg verspürte flüchtiges Mitgefühl. Dann konzentrierte er sich, zog seine geschwächten Kräfte wie einen Mantel um sich und sah sich selbst als eine Lanze aus Feuer, die im nächsten Moment den Schleier von Nix' benebelnden Drogen durchstoßen würde. Die Flamme verzehrte sich, verzehrte die restliche Stärke, die er in seinem Kampf, Durms verwüstetem Leib zum Trotz zu überleben, nicht aufgebraucht hatte.
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