König 01 - Königsmörder
Scheibe rosa gebratenen, zarten Rindfleischs zu greifen, kam Darran herbeigestürzt, riss das Tablett an sich und trat zurück. »Es wird jetzt eiskalt sein, Herr. Ich gehe nur schnell und wärme es für Euch auf.«
Er nickte. »In Ordnung. Und während Ihr das tut, werde ich mich um mein Aussehen kümmern. Wenn Ihr zurückkommt, bringt unbedingt einen Krug Eiswein mit. Es sei denn natürlich, Conroyd hätte meinen Keller zusammen mit allem anderen beschlagnahmt?«
»Nein«, sagte Darran nach einem kurzen Zögern. »Nein, Ihr habt noch immer einen Vorrat an guten Jahrgängen.«
»Offenkundig ein Versehen von Seiten Conroyds.«
»Offenkundig«, erwiderte Darran naserümpfend und kehrte in die Küche zurück.
Den Kopf voller obskurer Ausdrücke und syntaktischer Konstruktionen ging Gar in sein Schlafgemach hinauf und kümmerte sich um sein Äußeres. Gleichzeitig konzentrierte er sich bewusst weiter auf diese widerspenstigen Partizipien, denn wenn er sich weiterhin mit den feinsinnigen Unterschieden zwischen »haben« und »behalten« beschäftigte, würde er nicht über den Grund nachdenken müssen, warum er sich baden und rasieren und frische Kleidung anziehen musste.
Wenn er sich gestattete, über das »Warum« nachzudenken, bestand eine gute Chance, dass er wie ein von einem Pfeil getroffener Hirsch in die Knie gehen und nie wieder aufstehen würde.
Als er, sauber und erfrischt und makellos gewandet in Schwarz, wieder nach unten kam, war es dem tüchtigen Darran gelungen, sein vernachlässigtes Abendessen wieder aufzuwärmen und einen besonders hervorragenden Krug Eiswein aufzutreiben.
Hätte er ihn direkt aus dem Krug getrunken, wäre das ein Verstoß gegen die guten Sitten gewesen, daher goss er den Eiswein geschickt in ein papierdünnes Kristallglas – noch etwas, das Conroyd zu stehlen versäumt hatte? Wahrhaftig, der Mann ließ nach – und trank, ohne abzusetzen, bis das Glas leer war. Benebelt vom Alkohol, drehte sich ihm ein wenig der Kopf. Er lächelte und schenkte sich ein zweites Glas ein.
Diesmal hatte Darran das Tablett demonstrativ auf seinen Schreibtisch gestellt, nachdem er all seine Kritzeleien säuberlich auf eine Seite geräumt hatte. Gar setzte sich, spießte mit der Gabel ein Stück Fleisch auf und aß, ohne etwas zu schmecken, während er sich abermals Barls Tagebuch und den Einträgen zuwandte, die er bisher übersetzt hatte.
Ich habe Angst,
hatte sie geschrieben.
Wir sind dem Wahnsinn des Krieges entkommen, aber ich weiß, dass wir uns nicht für alle Ewigkeit verstecken können. Morgan duldet keine Einmischung, ebenso wenig lässt er den geringsten Verstoß ungestraft – und mein Verbrechen gegen ihn ist nicht gering. Wir haben einander einen Eid geleistet, und er wird mich daran binden oder mich töten. Seiner Meinung nach liebt er mich, und Talor vergib mir, ich liebe ihn. Habe ihn geliebt. Habe den Mann geliebt, der er früher war –nicht das Ungeheuer, zu dem er geworden ist. Ich muss einen Weg
finden, dieses Ungeheuer zu besiegen, denn anderenfalls sind wir gewiss verdammt. Und die ganze Welt mit uns.
Es gab keinen Hinweis darauf, wann oder wo sie diesen Eintrag geschrieben hatte. Höchstwahrscheinlich hatte sie es während der schrecklichen Flucht aus Dorana getan, bevor sie und die anderen Flüchtlinge in das schläfrige Land Lur gestolpert waren. Ein weiterer Eintrag, einige Zeit später.
Heute sind zwei weitere von unseren Kindern gestorben. Sie haben sie auf einem olkischen Friedhof begraben. Diese schlichten Menschen sind gut und freundlich. Ich darf ihnen ihre Güte nicht mit Blutvergießen und Zerstörung vergelten. Es muss eine Mög– lichkeit geben, dafür zu sorgen, dass dieses fruchtbare Land sicher bleibt.
Und noch später:
Er kommt, er kommt, ich kann es spüren. Tabithe und Jerrot meinen, ich träumte nur. Sie sagen, Morgan sei tot, müsse tot sein, die Magierkriege habe niemand überleben können. Aber ich weiß es besser. Ich habe keiner Menschenseele von der Macht erzählt, die wir entdeckt haben, von dem Schlüssel zur Unsterblichkeit. Wenn ich es ihnen erzählen würde, würden sie mich als Morgan in ihrer Mitte sehen, und sie würden mich gewiss auf der Stelle töten. Und wenn ich sterbe, kann ihn niemand mehr aufhalten.
Unsterblichkeit? Gar schob sein Abendessen beiseite und schenkte sich noch einmal Wein nach. Beim zweiten Lesen erschien ihm dieser Gedanke nicht wahrscheinlicher als beim ersten. Unsterblichkeit war ein Mythos. Ein Traum. Nicht
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