König 02 - Königsmacher
beschlagen. Auf der linken Seite stand die gesegnete Barl, die wohlwollend auf jene hinabblickte, die auf der Suche nach Gerechtigkeit eintraten. Auf der Rechten hing ein nacktes Schwert und erinnerte die nach Gerechtigkeit Suchenden daran, dass die Wahrheit etwas Zweischneidiges war… und dass die Strafe für ein Unrecht sowohl schnell als auch gnadenlos sein würde.
An seinem ersten Tag in der Stadt war Asher das Gebäude kaum aufgefallen. Damals war er zu beschäftigt damit gewesen, nach Arbeit zu suchen und, erstaunlicherweise, welche zu finden. An einem seiner frühen freien Tage hatte er auf den Sandsteinstufen der Halle der Gerechtigkeit gestanden und das Gebäude bestaunt, während Dathne ihm erklärt hatte, was jede Schnitzerei und jede Buntglasscheibe bedeutete, aber er hatte nicht das Bedürfnis gehabt hineinzugehen.
Und doch fuhr er jetzt in einer feschen, königlichen Kutsche dorthin, um genau das zu tun. Und er wusste
immer noch nicht,
warum.
Der Prinz sagte: »Asher! Hörst du mir zu?« Asher riss seine umherwandernden Gedanken zurück in die Gegenwart. »Jawohl. Herr. Natürlich.« »Gut. Also, die Unterschiede zwischen olkischer und doranischer Rechtsprechung sind dir absolut klar, nicht wahr? Du möchtest nicht, dass ich es noch einmal wiederhole? Aber sobald wir in der Halle sind, werde ich dich dir selbst überlassen müssen.«
»Nein, Herr. Ich schätze, ich hab alles verstanden«, antwortete Asher. Es kostete ihn einige Mühe, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Hielt der Prinz ihn für einen Trottel? »Alle strafrechtlichen und zivilen Angelegenheiten unter Olken bis hin zu vorsätzlicher schwerer Körperverletzung bleiben vor den olkischen Bezirksgerichten. Jede Klage, die diese Dinge übersteigt, wie Mord zum Beispiel - nicht dass wir allzu häufig umherschweifen und einander umbringen -, wird vor dem olkischen Zentralgericht verhandelt.« Er deutete aus dem Kutschenfenster. »Das ist dort drüben, drei Straßen hinter dem Großen Theater, auf der anderen Seite des Marktplatzes. Neben der Städtischen Bibliothek.«
»In der Tat«, stimmte der Prinz ihm zu. »Du besuchst die Bibliothek häufig, nicht wahr?«
»Nein. Zumindest nicht um meinethalben. Ich habe ein oder zweimal ein Buch für Dathne abgeholt.« Er rümpfte die Nase. »Keine Ahnung, weshalb sie geborgte Bücher will. Sie hat schließlich in ihrem Laden genug Bücher zum Verkauf, nicht wahr?«
»Manches Wissen ist unbezahlbar«, sagte der Prinz. »Und muss jedem verfügbar gemacht werden, der danach trachtet, ungeachtet seines persönlichen Reichtums. Oder seines Mangels an Reichtum. Sprich weiter. Das Gebäude, an dem wir gerade vorbeigekommen sind, ist das Hotel zum Goldenen Gockel. Wir sind fast da.«
Asher erstickte ein Aufstöhnen. Wann würde er diese Kenntnisse der Rechtsprechung jemals benötigen? Das alles war doch nur ein Haufen Firlefanz…
»Alle zivilen und strafrechtlichen Angelegenheiten unter Doranen werden in der Halle der Gerechtigkeit vor dem Meistermagier verhandelt«, leierte er pflichtschuldigst, »außerdem alle Rechtsstreitigkeiten zwischen Olken und Doranen, ganz gleich, wo sie leben. Alle zivilen oder strafrechtlichen Angelegenheiten unter Olken, die die Olken nicht untereinander regeln können, werden in der Halle der Gerechtigkeit Euch zur Entscheidung vorgelegt.« »Und das ist der Grund, warum wir heute dorthin gehen«, sagte der Prinz. »Genau. Und Kaptitalverbrechen?«
Asher schauderte. In Lur war seit Jahren kein Kapitalverbrechen mehr verübt worden. Um das letzte Verbrechen dieser Art zu finden, musste man in die Zeit zurückgehen, als sein lange verstorbener Urgroßvater noch auf dem Schoß seiner Mutter saß.
Aber so eigenartig war das gar nicht. Keiner, der halbwegs bei Verstand war, sei er Olk oder Dorane, beging mir nichts dir nichts ein Kapitalverbrechen. Zumindest nicht, wenn ihm sein Leben lieb war.
»Alle Kapitalverbrechen werden vor dem König verhandelt«, sagte er, als die Kutsche ihr Tempo verlangsamte und in eine Gasse einbog, die von der Hauptmarktstraße abzweigte. »Oder vor der Königin. Das spielt keine Rolle. Und vor ihrem Thronrat. Ob die Verhandlung öffentlich gemacht werden muss oder nicht, hängt von den Umständen ab.«
Der Prinz musterte ihn. »Bemerkenswert.«
»Was?«, fragte Asher. »Dass ich ein gutes Gedächtnis habe? Nein, es ist nicht bemerkenswert. Eure Hoheit. Meine Ma, Barl stehe ihr bei, hatte ein Gedächtnis, das doppelt so rasch war wie
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