König 02 - Königsmacher
Exil. Die Alten Tage, bevor Bürgerkrieg und der verzweifelte Kampf von Magiern gegen Magier das lang verlorene Land, Dorana, mit blutigen Blitzen zerrissen und ein Ungeheuer geboren hatten, dem keine Vergeltung zu grausam, keine Strafe zu hart war. Ein Ungeheuer, das vor keiner wie auch immer gearteten dunklen Magie zurückschreckte. Die Alten Tage, da Barl und die anderen Überlebenden jenes schrecklichen Konflikts aus ihren in Trümmern liegenden Städten geflohen waren, auf der Suche nach Frieden und Freiheit und einem Land, wo das Ungeheuer Morg sie nicht finden konnte.
Vor dem Erscheinen der Doranen hatten die Olken Lur ihr Eigen genannt. Sie hatten in blühenden, ländlichen Gemeinden gelebt, die miteinander verbunden waren durch ihre Hingabe an die Rhythmen des Lebens in seiner ganzen stürmischen Schönheit und Gefahr. Die Olken jener lange vergangenen Tage hatten ein bescheidenes Leben geführt, das stimmte, aber das bedeutete nicht, dass dieses Leben ohne Wert gewesen wäre. Im Gegenteil, das Leben jener Olken war ungeheuer kostbar gewesen, denn es hatte ganz und gar ihnen gehört. Unangetastet von fremden Händen. Unverdorben durch eine andersartige Magie. Aber es gab keine Bücher über die Alten Tage der Olken. Es konnte keine geben. So gut wie niemand von den Menschen, die in diesen modernen Zeiten lebten, wusste, dass die Olken einst ihre eigene Macht besessen hatten, bevor die hellhaarigen Doranen mit ihrer aufdringlichen, brutalen Magie gekommen waren. Die Macht der Olken war eine sanfte, singende Erdmagie, die sie an das Land und einander band, ohne das Bedürfnis nach Herrschaft oder Unterdrückung.
Die einzigen Olken, die sich noch an jene Magie erinnerten, die sich daran erinnerten, wie die Dinge früher einmal gewesen waren, gehörten dem Zirkel an. Eingeschworen auf Geheimhaltung und die spärlichen Worte einer Prophezeiung, die sie nicht verstanden, für die sie jedoch zu sterben bereit waren, bewahrten sie sich die Erinnerung. In Schweigen und traurigen Träumen erhielten sie die begrabene Wahrheit am Leben.
Der Verlust des Erbes ihres Volkes nagte an Dathne, obwohl diese Dinge sich vor Jahrhunderten zugetragen hatten. Sie würde
niemals
akzeptieren, dass das, was sie verloren hatten - nein, was sie weggegeben, ausgeliefert, verkauft hatten -, wertlos war, ganz gleich, welch funkelndes Geschenk sie im Gegenzug dafür erhalten hatten. Ganz gleich, wie sicher das Leben war, das an die Stelle ihrer früheren Existenz getreten war. Und sie hatte einen grimmigen Eid geschworen, dass eines Tages jeder Olk, Mann, Frau oder Kind, von seinem wahren Erbe erfahren und seine Macht wieder in Besitz nehmen würde. Und dann würden die Buchhandlungen von Lur überquellen von Geschichten über
ihre
Alten Tage. Falls es, nachdem die Letzten Tage zu Ende waren, noch Buchhandlungen gab. Falls es noch ein Lur gab.
Ungeduldig wandte Dathne sich von der verschlossenen Vordertür und der Buchauslage ab und zupfte an ihrem ohne Sorgfalt geflochtenen Haar. Dies war jetzt genug weinerliche Sentimentalität für einen Tag gewesen. Sie musste noch das Abendessen zubereiten, und danach galt es Bestellungen für die morgendliche Postkutsche fertig zu machen. Mit einem Rascheln ihrer Röcke kehrte sie zurück in den hinteren Teil des Ladens und ging die Treppe hinauf, die zu ihrer kleinen Wohnung führte.
Die Vision traf sie auf halbem Wege zur Tür der Wohnung. Sie fällte sie wie ein Axthieb, sodass sie mit dem Gesicht nach unten vor der Holztreppe zu Boden stürzte. Sie versuchte, wieder aufzustehen. Vergeblich, denn ihre Gliedmaßen waren mit einem Mal bleischwer, ihre Brust war wie zugeschnürt, und sie hörte ein Stöhnen, das ihr in der Kehle erstarb.
Die Augen fest geschlossen, durchzuckte sie ein lautloser Protestschrei, und sie sah die Zukunft, die zu töten sie geboren worden war.
Hagelkörner aus Feuer regneten von einem Himmel, der die Farbe von geronnenem Blut hatte. Starke, stolze Bäume barsten unter speergleichen Blitzen. Der Gant schwoll an, immer weiter und weiter. Trichterförmige, grüne Wolken streckten dünne, grausame Finger aus, um ganze Häuser Stein für Stein und die Menschen darin Glied für Glied emporzureißen und in den tobenden Sturm zu schleudern. Die Mauer pulsierte und wand sich, gewaltige Löcher wie von einem widerwärtigen Aussatz rissen sie in Fetzen. Zerschundene, blutige Leiber wurden achtlos auf Haufen geworfen, in Löcher. Fallen gelassen. Verachtet. Und eine gewaltige,
Weitere Kostenlose Bücher