König 02 - Königsmacher
tiefen Furchen und eher dumpf als leuchtend. Aber für sie war er unbezahlbar kostbar, ihre Verbindung zu Veira und durch sie zu dem Rest ihres Zirkels: Ein Kanal, durch den ihr Linderung und Trost zufloss, wenn die Last, Jervals Erbin zu sein, zu gewaltig wurde, als dass sie sie hätte tragen können. Ihr Kristall und der Veiras waren Zwillinge, zwei Hälften eines Ganzen, für immer zusammengefügt, ganz gleich, wie gewaltig die Entfernungen zwischen ihnen waren.
Die Benutzung des Steins war gleichermaßen einfach wie herausfordernd. Sie war eine Olkin. Ihre geheime Magie war etwas Hintergründiges, Raffiniertes, eine Frage von versteckten Andeutungen und sanfter Schmeichelei, zart wie ein Wispern inmitten der Schreie aufdringlicher, herrischer doranischer Beschwörungen. Es war niemals leicht, im Geplapper und Gelärm der Doranenmagie einen ruhigen Ort zu finden: Im Laufe der Jahrhunderte hatten deren heisere Echos die Stadt bis auf die steinernen Mauern und Straßenpflaster durchtränkt. Wenn sie morgen taub wurde, würde sie das Vibrieren dieses Nachschalls noch immer auf der Haut spüren und das Getöse von tausend und abertausend Zaubern in ihrem Schädel klirren hören.
Das einzig Gute an der lauten Magie der Doranen war der Umstand, dass es dieser Magie buchstäblich unmöglich war, sie, die Olkin, aufzuspüren. Es sei denn vielleicht, jemand würde gezielt nach ihr suchen, und selbst dann war es unwahrscheinlich, dass man ihre gedämpfte Stimme in all dem Getöse hören würde.
Trotz der abendlichen Wärme schauderte sie. »Sei keine Närrin, Dathne«, ermahnte sie sich laut. »Wie kann irgendjemand nach dir suchen? Kein Dorane weiß von deiner Existenz oder hat je davon gewusst.«
Was nur gut war, wenn man die Konsequenzen einer Entdeckung bedachte. Sie schloss die Augen und ließ die verbleibende Spannung aus ihrem Hals und ihren Schultern abfließen wie Regen, der durch Sand sickerte. Und beschwor Veiras Gesicht vor ihrem inneren Auge herauf. Rund und runzelig wie ein alternder Apfel. Eingerahmt in ein Gewirr von grauen Fäden durchzogenen Haars. Eine lange, knochige Nase. Ein Grübchen auf dem Kinn. Augen von der Farbe von Moos, die schimmerten und hin und her huschten mit ihren quecksilbergleichen Stimmungen, bald blitzend vom Ärger, bald weich von Mitgefühl.
Sie liebkoste mit den Fingern den Kristall, suchte nach den unterschwelligen Vibrationen, die sie zu der inneren Straße führen würden, dem Pfad, über den ihre Gedanken die unbekannte Strecke zurücklegen würden, die zwischen ihr und Veira lag. Der Aufenthaltsort der alten Frau war ein Geheimnis… nur für den Fall des Falles.
Perfekter Friede. Perfekte Harmonie. Einatmen. Ausatmen. Gedanken wie Distelwolle, die in einer Brise dahinschwebten.
Veira…
Und Veira war bei ihr. In dem Kristall, in ihrem Herzen und in ihren Gedanken, eine warme, fragende Präsenz, die niemals versagte, wenn es galt, Ruhe und Mut zu spenden. Oder zu schelten, wenn es so aussah, als sei Schelte notwendig.
Ich habe seit drei Tagen nichts mehr von dir gehört, Kind. Ich habe mir langsam Sorgen gemacht.
Dathnes Lippen bewegten sich und formten jedes einzelne Wort, während es durch die unsichtbare Verbindung zwischen ihrem Kristall und dem Veiras floss. »Es tut mir leid. Ich wollte dir keinen Grund zur Sorge geben, ich…« Sie brach ab. Der Klang der Stimme der alten Frau weckte eine Vielzahl von Gefühlen in ihr.
Kind, ist irgendetwas nicht in Ordnung? Heute Nacht spüre ich in dir das Echo von etwas Bösem, Wildem. Was ist geschehen?
Stockend erstattete Dathne ihr Bericht. Während sie die Vision noch einmal durchlebte, brach ihr der Schweiß aus, und sie krampfte die Finger um den Kristall. »Ich habe noch nie solche Bilder empfangen, Veira. Ich habe zu Jerval gebetet und ihn um Leitung angefleht, aber ich hätte nie gedacht…«
Du hast keine Zweifel? Es waren die Letzten Tage, die du gesehen hast?
»Was hätte es sonst sein können?« Sie schauderte. »Veira… es war schrecklich. Wie kann ich hoffen, gegen etwas so Böses zu siegen?«
Deine Aufgabe hier ist es nicht zu siegen. Das ist das Schicksal des Unschuldigen Magiers, Kind. Dein Schicksal ist es, für seine Sicherheit zu sorgen, bis die Schlacht beginnt.
»Und wie wird
er
siegen? Der Geist, den ich gespürt habe, Veira, er war furchtbar! Dort ist etwas unaussprechlich Böses am Werk! Asher ist unerfahren, unerprobt und vollkommen unvorbereitet!«
Dann müssen wir ihn nach unserem besten
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