Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Herstellungsverfahren« eine Umweltsauerei verbirgt, inklusive Tausender unnötiger Transportkilometer – all das geht aus der Märchenwelt der Produktpropaganda nicht hervor.
Ich jedenfalls weiß jetzt: Meinen Schwarzwälder Schinken werde ich nur von einem Schwarzwälder Bauern bekommen. Bei einem Schwarzwälder Metzger bin ich da schon nicht so sicher – denn die Firma Abraham beliefert auch Metzgereien …
Heiße Luft und leere Versprechen
»Wasser, Brot, Aufschnitt, Tomaten, Nudeln, Margarine« – das stand auf meinem Einkaufszettel. Doch als ich zur Kasse rolle, ist mein Einkaufswagen so voll, dass ich ihn kaum mehr schieben kann. Joghurt und Quark, Vanilleeis und Fischstäbchen, Radler und Reis, Müsli und Marmelade – alle möglichen Artikel sind mir zugeflogen.
Was verführt mich im Supermarkt? Das Auge kauft mit! Wenn mich die feinsten Delikatessen auf den Lebensmittel-Verpackungen anlachen, löst das in meinem Mund den Speichelfluss aus. Meine Hand schnappt dann wie im Reflex nach den Artikeln.
Die heutige Einkaufswelt ist pervers: Die meisten Produkte kauft man im Laden blind ein. Man sieht nicht das Originalprodukt, sondern nur seine Abbildung auf der Verpackung (weshalb die Werbefotografie beim Kundenfang eine wichtige Rolle spielt, siehe Seite 229 ff.).
Können Sie an einem Kühlregal vorbeigehen, ohne zumindest mit einem Erdbeerjoghurt zu flirten? Ich kann es nicht! Auf der Verpackung leuchten mir kussmundrote Erdbeeren entgegen, die so taufrisch und naturbelassen aussehen, als hätte man sie gerade in einem Märchenwald gepflückt. Zum Reinbeißen!
Meine Hand zuckt ins Kühlregal. Vier Joghurts landen in meinem Wagen. Dass ich mir den Blick auf die Zutatenliste spare, kann an meiner Eile beim Einkaufen liegen (wer hat schon die Zeit, bei jedem Produkt die Einzelzutaten zu studieren?). Oder liegt es daran, dass diese Listen grundsätzlich in winziger Schrift und an einem versteckten Ort aufgedruckt sind, nicht selten in weißer Farbe auf hellem Grund? Wer das ohne Probleme lesen kann, sollte sich als Spurensicherer bei der Kripo bewerben.
Kein Zweifel: Die Angaben über die Zutaten werden von der Industrie nicht auf die Packungen gedruckt, damit der Kunde sie tatsächlich liest, sondern um dem Gesetz zu genügen.
Ein Bild lügt mehr als tausend Worte. Bei meinem Joghurt gilt das schon für die Menge der abgebildeten Früchte; mir wird eine Erdbeerfüllung vom Boden bis zum Deckel vorgegaukelt – auch wenn der Joghurt in Wirklichkeit nur ein paar Fruchtkrümel enthält und neben der Milch vor allem aus Aromastoffen und Zucker besteht.
Dass minderwertige Ware verkauft wird, hat einen einfachen Grund: Dreck lässt sich billiger herstellen als Qualitätsware! Die Verbraucherzentralen rechnen vor: Himbeeraroma für sechs Cent reicht aus, um 100 Kilo Joghurt zu aromatisieren. Echte Himbeeren würden den 500-fachen Preis kosten: 30 Euro. 49
Dass Aromen den natürlichen Geschmack verderben, kommt den Herstellern nicht ungelegen: Sie impfen uns einen künstlichen Normgeschmack ein und konditionieren die Geschmacksnerven schon bei Kindern so, dass naturbelassene Produkte weniger schmackhaft und damit weniger attraktiv erscheinen. Die als Lebensmittel getarnten Chemie-Cocktails stechen die gesunden Naturprodukte aus.
Und nicht nur das: Aromen begünstigen Übergewicht. Sie kurbeln den Hunger an, ähnlich wie die Zusatzstoffe im Futter bei der Schweinemast. Aus Sicht der Industrie ist das genial: Wer einen Joghurt isst, bekommt Hunger auf einen zweiten, dritten, vierten … Und jedes Mal klingelt die Kasse!
Mein Körper bleibt beim Essen unterversorgt: Wertvolle Vitamine und Mineralien fehlen in dieser Aroma-Nahrung. Doch geringe Herstellungskosten und hohe Gewinnmargen werden von der Industrie mit einer Rücksichtslosigkeit angestrebt, dass es sie nicht stört, wenn die Volksgesundheit dabei unter die Räder kommt.
Ein Beispiel für den Verpackungsschwindel ist das » Kölln Müsli Schoko Kirsch« . Mit appetitlichen Kirschabbildungen verlockt es mich zum Zugreifen. Was mir die Abbildung aber nicht vor Augen führt: Das Kirsch-Müsli ist gar kein Kirsch-Müsli, sondern besteht in erster Linie aus getrockneten Cranberries, einem billigen Kir schenersatz. Das ist so, als würde ein Film mit dem Gesicht von Jack Nicholson beworben, der dann aber nur kurz in einer Nebenrolle auf taucht – während ein zweitklassiger Amateurschauspieler die Haupt rolle übernimmt.
Ähnlich raffiniert auf
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