Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Gemüse mit einem abgemagerten Budget daher: rund sechs Millionen Euro.
Jeder Werbe-Euro muss den Umsatz etwa um das Doppelte dieser Summe anheben, damit er für die Firmen gut investiert ist. Wenn 600 Millionen Euro in Zucker- und Schokoladenprodukte fließen, dann darf man annehmen, dass die Deutschen über eine Milliarde mehr für Zuckerprodukte ausgeben, als sie es ohne diese Suggestion getan hätten. Tonnen von Zucker werden nur gegessen, weil die süße Werbung uns verführt – ohne Rücksicht darauf, dass ernährungsbedingte Krankheiten laut Bundesregierung den Staat jedes Jahr 70 Milliarden Euro kosten. 59
Warum holt sich der Staat dieses Geld eigentlich nicht von der Nahrungsmittelindustrie zurück? Warum werden Zuckerprodukte nicht mit Warnungen bedruckt, wie Zigarettenpackungen? Warum erhebt der Staat keine massive Zuckersteuer, die den Herstellern einen sparsamen Umgang mit Zucker aufzwingt?
Ich, das Eiskind von einst, gebe zu: Die süße Sünde lockt noch immer. Wenn ich zum Beispiel an einem heißen Tag den Supermarkt mit dem festen Vorsatz betrete, kein Eis zu kaufen – dann macht mich die Eistruhe direkt vor der Kasse schwach. Und die Truhe steht dort nicht zufällig!
Natürlich tue ich alles, um mich gesund zu ernähren. Deshalb suche ich gezielt nach »Light«-Produkten. Beim Eis gibt es etliche Sorten, die Schlankheit versprechen. Zum Beispiel habe ich einige Zeit die »Light«-Variante der Langnese-Eiscreme »Cremissimo« gegessen, die ausdrücklich als »leicht« beworben wird. Tatsächlich ist der Fettanteil auf fünf Prozent reduziert. Doch eines Tages fiel mir auf, dass das Eis zwar als »leichter Genuss« verkauft wird, aber dennoch zu fast einem Drittel aus Zucker besteht.
»Light« ist hier wohl nur eines: das haltlose Werbeversprechen!
»LEIDER NICHT GANZ FREI VON KALORIEN …«
Wie tickt die Zuckerindustrie? Fühlt sie sich der Gesundheit ihrer Kunden verpflichtet? Oder nur ihrem Umsatz? Ich habe einen getarnten Test gewagt: Als Martina Wehrle – eine Mutter, die gerade einen Kindergeburtstag vorbereitet – schickte ich folgende Mail an Nordzucker, einen der größten Zuckerhersteller des Landes:
Sehr geehrter Damen und Herren,
als begeisterte Hobby-Bäckerin lade ich die Freunde meiner Kinder (7 und 10 Jahre) zu Geburtstagsfesten ein. Bislang habe ich Nordzucker immer gerne und reichlich als Backzutat verwendet.
Nun kam es allerdings zu folgender Situation: Eine meiner Freundinnen hat behauptet, Zucker mache nur dick und sei beim Backen entbehrlich – ihr Kind hat starkes Übergewicht (was an mangelnder Bewegung liegt, wenn Sie mich fragen!). Sie verwendet jetzt irgend so einen kalorienarmen Süßungsstoff und hat mich aufgefordert, meine Kuchenrezepte für den anstehenden Kindergeburtstag zu verändern und den Zucker zu ersetzen oder stark zu reduzieren.
Nun möchte ich Sie ganz herzlich bitten: Liefern Sie mir doch ein paar gute Argumente, wie ich meine Freundin überzeugen kann, dass ein paar Stücke gezuckerter Kuchen noch keinem Kind geschadet haben.
Vielleicht haben Sie auch ein gutes Rezept auf Lager.
Mit besten Bäcker-Grüßen
Martina Wehrle
Zugegeben, das war eine provokante Steilvorlage. Aber die Antwort darauf würde sicher ehrlicher ausfallen als auf eine kritische Journalistenanfrage. Ich war gespannt, ob die eifrige Zuckerbäckerin ein paar Denkanstöße bekäme – oder ob ihr nur zuckersüße Bestätigung ins Haus rieseln würde. Ein paar Tage später brachte der Briefträger einen Umschlag, der nicht nur einen knapp über einseitigen Brief, sondern auch eine Broschüre und Infomaterial enthielt:
Sehr geehrte Frau Wehrle,
wir freuen uns, dass Sie gerne mit unseren Zuckerprodukten backen und möchten Ihnen in der Diskussion mit Ihrer Freundin den Rücken stärken.
Auch wir als Zuckerhersteller stehen dem Thema »Zucker – Ernährung – Gesundheit« natürlich nicht völlig unkritisch gegenüber. Vielmehr versuchen wir, die Vor- und Nachteile des Zuckerkonsums aufzuzeigen und plädieren für eine gesunde, ausgewogene Ernährung.
Anbei (…) habe ich Ihnen einmal die wichtigsten Fragen und Antworten zum (…) Thema ausgedruckt. (…)
Bezüglich der Rezepte für den Kindergeburtstag möchte ich Sie auf unsere Rezeptdatenbank unter www.sweet-family.de verweisen. Dort finden Sie z. B. Rezepte für »Süße Mäuse«, das »Stachelschwein St. Mandola« oder »Ferdinand das Schokodil«, die nicht ganz so viel Zucker enthalten wie andere Backwaren.
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