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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Lebensmittel dieselbe Wirkung wie der Aufdruck » Spiegel -Bestseller« für ein Buch: Er verbindet das (eventuell belanglose) Produkt mit einer großen Dachmarke, deren Qualität weithin bekannt ist. Das bringt Käufer.
    Aber woher stammt der »Schwarzwälder Schinken« wirklich? Der Marktführer für dieses Produkt, die Firma Abraham, residiert in Seevetal am Rande Hamburgs. Wer die Homepage der Firma anklickt, dem wird eine heile Schinkenwelt vorgegaukelt. Zum Beispiel heißt es dort: »Die Produktionsstätte in Schiltach (Schwarzwald) liefert unseren Schwarzwälder Schinken sowie Bio Schwarzwälder Schinken und vervollständigt damit die Riege unserer deutschen Produktionsstandorte.«
    Der Schwarzwald scheint ein einziges Schweine-Eldorado zu sein: Jedes Jahr verwandelt Abraham im Schiltachtal 750 000 Schweine in Schinken. Doch Rumpelstilzchen könnte beim Tanz um das Räucherfeuer singen: »Ach wie gut, dass niemand weiß, dass die Schweine schon mausetot sind, wenn sie aus Niedersachen, Holland und Belgien in den Schwarzwald reisen!« Im Schwarzwald wird lediglich das angelieferte Fleisch verarbeitet. Den Rauch, die Sägespäne, die heiße Luft: Mehr trägt der Schwarzwald nicht zu dem Produkt bei. 48
    Das ist so, als würde man einen sibirischen Fußballspieler einmal kurz auf dem Flughafen in Rio de Janeiro zwischenlanden und ein paar Bälle mit Einheimischen treten lassen, um ihn dann auf dem Transfermarkt als »echten Brasilianer« anzupreisen.
    Ich, der Kunde, werde ins Kino der Illusionen gelockt. Der Schinkenproduzent pflanzt mir ein Bergidyll in den Kopf, obwohl die Wirklichkeit aus stinkender Massentierzucht im Flachland, aus endlosen Schweinetransporten über Ländergrenzen hinweg besteht.
    Und während ich vielleicht der Meinung bin, mit dem Verzehr dieses Schinkens die Bauern in meiner Schwarzwälder Heimat zu unterstützen, verdient sich ein Schweinebauer in Holland eine goldene Nase, kassiert ein Spediteur für den europaweiten Schweinetransport. Und die echten Schwarzwald-Bauern können gegen diese ebenso günstige wie widerliche Massenproduktion nicht anstinken, auch wenn ihre Tiere wirklich in der frischen Schwarzwaldluft aufgewachsen sind.
    Die Nahrungsmittelindustrie ist der Märchenonkel der Nation, sie erzählt uns Geschichten vom Pferd bzw. Schwein. Da es offenbar nicht gelingt, sich durch die Qualität der Produkte abzuheben, soll das Lasso der Legenden die Kunden einfangen. Die Supermarktregale sind voll mit Produkten, die mir vorgaukeln, sie seien in einer bestimmten Region hergestellt, nach einem traditionellen Rezept zubereitet, mit einer umweltfreundlichen Methode produziert und der Gesundheit förderlich.
    Ob »Großvaters Hüttenkäse«, »Omas bestes Rezept« oder »jahrhundertealte Tradition«: Kein Werbeversprechen ist zu billig, um meine Gefühle anzusprechen. Dann verbinde ich den Hüttenkäse, ein Produkt vom Fließband, auf einmal mit meinem geliebten Großvater. Diese Versprechen sind für mich so wenig überprüfbar wie die Schweizer Konten derer, die sich mit solchen Halbwahrheiten in den Millionärsstand hochgeschwindelt haben.
    Dabei liegt die Latte für den Schwarzwälder Schinken schon höher als für die meisten Produkte. Der »Herkunftsschutz« durch die Europäische Union besagt: Ein Schinken muss im Schwarzwald nach einem bestimmten Verfahren hergestellt worden sein, um sich »Schwarzwälder Schinken« nennen zu dürfen.
    Aber die EU liefert das Schlupfloch gleich mit: Es reicht, einen Produktionsschritt ins Herkunftsgebiet zu verlegen. Wenn die Ware dort erzeugt oder verarbeitet oder hergestellt wird, ist das ein Freibrief, um sich mit dem Namen der Region zu schmücken.
    Aber welcher Kunde ist spitzfindig genug, bei einem Schwarzwälder Schinken zu vermuten, dass er aus holländischen Schweinen bestehen darf? Wer kommt auf die Idee, dass Schwäbische Maultaschen nicht ausschließlich aus dem Schwabenland kommen, Thüringer Würste nicht ausschließlich aus Thüringen und ein Kölsch nicht ausschließlich aus Köln? Welcher Kunde differenziert zwischen Erzeugung (Schweine wachsen jahrelang auf) und Herstellung (Schweinefleisch wird in Windeseile geräuchert)?
    Dass ein »traditionelles Käserezept« nicht älter als der Kalender desselben Jahres ist, dass die »Torte nach Großmutter-Art« in Wirklichkeit von einem 30-jährigen Lebensmittelchemiker vor allem mit Blick auf die billige Herstellung erdacht wurde, dass sich hinter dem »umweltfreundlichen

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