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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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auslachen!
    Doch was passiert, wenn uns die Lebensmittelindustrie einen falschen Schinken als echten Schinken anpreist? Wenn sie ein Käse-Imitat als Käse ins Regal mogelt? Wenn ein Schokoladenkeks keinerlei Schokolade und eine Garnele keinerlei Garnele enthält? Dann haben wir es mit Lebensmittel-Imitaten zu tun, die mittlerweile in den Supermärkten so üblich sind wie gefärbte Haare beim Friseur.
    Wenn ich als Kunde vor einem Lebensmittelregal stehe, stehe ich zugleich vor dem Rätsel: Ist das Lebensmittel eine Fälschung oder das Original? Wer der Produktbezeichnung auf der Verpackung glaubt, könnte auch in der »Götterspeise« einen Gott vermuten. Wo »Schinken« draufsteht, ist noch lange keiner drin.
    Die Nahrungsmittelindustrie betreibt ein Alchimisten-Handwerk, wobei sie Scheiße nicht einmal in Gold verwandelt, sondern lediglich hübsch presst, würzt, färbt, verpackt – und dann dem Verbraucher auf den Teller klatscht. Guten Appetit!
    Bin ich zu drastisch? Gegenfrage: Wie soll man denn sonst einen »Hinterschinken« nennen, dessen Fleischanteil bei knapp 60 Prozent liegt (wie im Durchschnitt bei importiertem Schinken)? 62 Dieser »Schinken« verdankt seine Existenz oft einer Recycling-Maßnahme: Widerliche Fleischreste, die bei der Schinkenherstellung übrig bleiben, werden aufgeschwemmt mit viel Trinkwasser, zugekleistert mit Verdickungsmitteln, aufgemotzt mit Soja- oder Milcheiweiß und gewürzt mit einer kruden Mischung von Salz bis Zucker.
    Die Fleischfetzen werden so lange geformt, gepresst und mit Farbstoff angereichert, bis sie die Gestalt und die Farbe eines Schinkens annehmen. Was gerade noch wie ausgekotzt wirkte, ist immer noch dasselbe wie zuvor – aber jetzt steckt es in einem hübschen Kleid.
    Nur wenn ich den Schinken mit spitzen Fingern untersuche, kann ich seine Herkunft aus der Retorte erahnen: Warum lässt er sich wie eine wabbelige Gummimasse in alle Richtungen dehnen? Warum fehlt ihm die Struktur von Fleisch? Warum liegt er wie Teig auf der Zunge und schmeckt zu süß für Fleisch, zu deftig für Süßes?
    Aber solche Feinheiten nehme ich nur wahr, wenn ich den Schinken einzeln vor mir liegen habe. Chancenlos bin ich, wenn der falsche Schinken als blinder Passagier im Essen mitreist. Im Restaurant schmuggelt er sich auf meine Pizza, hinterlässt seine Streifen in meinem Chefsalat oder füllt mein Cordon bleu.
    Die Bilanz des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz für 2007 liest sich wie ein Katastrophenbericht: Von 130 Proben aus Kochschinken und Schinkenerzeugnissen fielen fast 70 Prozent durch. Am schlechtesten schnitt die Gastronomie ab: Von 43 Proben waren 41 nicht in Ordnung. Billige Imitate gaben sich auf der Speisekarte als Koch- oder Vorderschinken aus. 63
    Ganz egal, wo ich mich im hochzivilisierten Deutschland befinde: Wenn ich im Restaurant ein Schinkengericht bestelle, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass mich der Wirt wie ein Hütchenspieler linkt und mich mit falschem Schinken abspeist.
    Dieser Trickbetrug wird von den Ordnungsämtern seit Jahren angeprangert, doch die Kritik prallt an der mächtigen Industrie ab. Die Rollen zwischen Staat und Industrie sind verteilt wie die zwischen einer Politesse, die Knöllchen verteilt, und einem Multimillionär, der sein Auto mit Kalkül im Halteverbot stehen lässt und winzige Strafzettel aus der Portokasse bezahlt.
    Nur wird das Auto der Lebensmittel-Multis merkwürdigerweise niemals abgeschleppt; den Politessen sind die Hände gebunden. Die Verbraucherschutz-Ämter müssen es bei lächerlichen Strafmandaten, oft sogar bei kostenlosen Ermahnungen belassen.
    Als Kunde bekomme ich das Maul mit Imitaten gestopft. Auch mit Käse, denn der klebt den Mund am besten zu! Was da oft auf der Pizza schmilzt, sich um mein Fischfilet legt oder die Spätzle verklebt, ist eine kafkaeske Erfindung: ein Käse-Imitat, das alle Eigenschaften von Käse aufweist, sogar den Geschmack, aber nicht eine Spur echten Käse enthält.
    Dieser Käse stammt nämlich aus dem Labor, ein abscheuliches Gemisch aus Eiweißpulver, Wasser, Pflanzenfett und Geschmacksverstärker. Ein solcher Käse, der ohne einen Tropfen Milch auskommt, wird mir als Original untergejubelt.
    Die Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21 wollten es genau wissen: Sie ließen 92 Käsebrötchen untersuchen; 35 – also über ein Drittel – waren frei von echtem Käse. 64 Die Vorstellung ist unheimlich: Ich bestelle Käse, bezahle Käse und meine Käse zu essen – doch

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