König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
hinter mir.
Makin ging fort, weil ihm seine Gegenkräfte einen Kompromiss gestatteten. Meine waren nicht so freundlich. Ich möchte sagen, dass es Hass war, der mich auf die Plattform brachte. Hass auf Rom, auf die Doktrin der Ignoranz, auf die Verdorbenheit der höchsten Repräsentanten. Meine Brüder würden vielleicht darauf hinweisen, dass die Entscheidung auf meine eigenen Gegenkräfte zurückzuführen war, auf meine Aversion gegen die Vorstellung, dass es abgesehen von den Stricken nur die Angst vor den Priestern und das Grölen der Menge waren, die jene Gefangenen auf dem Podium hielt. Die drei Monate auf dem Thron von Renar hatten gewiss nichts mit meinem Verhalten zu tun. Als man mir die Krone aufs Haupt setzte, übernahm ich, wenn man’s genau nimmt, die Verantwortung
für die Menschen meines Königreiches. Aber die Krone wog mehr, als Verantwortung jemals wiegen kann, und deshalb nahm ich sie schon nach kurzer Zeit wieder ab.
Niemand versuchte mich aufzuhalten, als ich aufs Podium stieg. Ich schwöre, dass ich sogar die eine oder andere Hand spürte, die mich nach oben schob. Ich nahm dem Scharfrichter den Stock aus der Hand, als er zum ersten Hieb ausholte. Mit scharfkantigen Eisenstücken war er besetzt. Das Mädchen stand nackt am Pfosten und beobachtete den Stock, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Für ein Bauernmädchen erschien es mir zu sauber. Vielleicht hatten die Priester es gewaschen, damit sich die Zeichen der Qualen nicht in Dreck verloren.
Blutiges Gemetzel war eine Möglichkeit. Meine prickelnden Finger sehnten sich nach dem Heft eines Schwerts, und ich war ziemlich sicher, alle auf dem Podium töten zu können, ohne ins Schwitzen zu geraten. Seit einer Generation hatte Hanver keinen Kampf gesehen, und ich war mehr als nur bereit, das zu ändern. Stattdessen versuchte ich es mit Vernunft, oder zumindest mit meiner Art von Vernunft. Drei Schritte brachten mich bis auf einen Meter an den Priester mit dem silbergrauen Haar heran. Den Stock mit den Eisenzähnen drehte ich in der einen Hand.
»Ich bin König Jorg von Renar. Ich habe mehr Priester getötet als du Hexen, und ich sage, dass du diese drei freilassen wirst, und zwar nur deshalb, weil es mir so gefällt.« Ich sprach deutlich und laut genug für die Menge, die so still war, dass ich das Flattern der Fähnchen hörte. »Die nächsten Worte aus deinem Mund werden ›Ja, Euer Hoheit‹ lauten, oder ich zerhacke dich mit diesem Stock.«
Eins musste man dem Priester lassen: Er zögerte wenigstens,
bevor er »Ja, Euer Hoheit« sagte. Vielleicht bezweifelte er, dass ich König war, aber sicher glaubte er an den Stock mit den Eisenspitzen.
Bewaffnete Männer standen unter den Bauern, nicht viele, aber genug, kräftige Kerle mit Helmen und gepolsterten Wämsern, Aufpasser des kleinen Herrschers, der diesen Ort zu seinem Machtbereich zählte. Ich begegnete ihren Blicken und winkte dreien von ihnen zu, die vor einem Pferdetrog standen. Sie zuckten die Schultern und wandten sich ab. Ich kann nicht sagen, dass es mich freute. Makin stand hinter dem Trog – sein Kompromiss hatte ihn nicht einmal bis zum nächsten Bierhaus gebracht.
»Sag nein!« Mein Schwert kam so schnell aus der Scheide, dass es fast sang.
Blutdurst zeigte sich in den Gesichtern der Zuschauer, Enttäuschung darüber, dass ihnen das Spektakel vorenthalten werden sollte. Mir ging es ähnlich. Es war wie ein Niesen, das nicht aus einem herauskam, wie eine Leere, die unbedingt gefüllt werden wollte. Ich wartete, und mehr als die Hälfte von mir wünschte sich, dass Bewegung in die Menge kam, dass sie wütend nach vorn drängte.
»Sag nein«, wiederholte ich, aber der Priester gab keinen Ton von sich.
Die Stricke der Gefangenen gaben unter der scharfen Schneide meiner Klinge nach. »Geht«, sagte ich mit plötzlichem Ärger, als wäre dies alles ihre Schuld. Die Mutter hinkte fort und zog ihre beiden Töchter mit sich. Makin half ihnen die Treppe herunter.
Später fragte ich mich, ob es genug sein würde, um den Geist fortzuschicken, ob meine gute Tat – aus welchen Gründen auch immer vollbracht – den toten Knaben aus meinen
Träumen vertreiben würde. Aber er kehrte wie üblich mit den Schatten zurück.
Wir blieben einen ganzen Tag in Hanver und brachen an einem sonnigen Morgen auf, mit vollen Satteltaschen und noch immer wehenden Fähnchen. Das ist die Schönheit von Orten, die der Krieg nie besucht hat. Und es ist auch der Grund, warum sie nicht von
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