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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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leere Seite. Sie graben und testen. Und dann kommen sie der Lawine zuvor.« Ich hob meinen Bogen und ließ das violette Band im Wind flattern. »In die Höhlen. Jetzt!«
    Wenn ein Hang gefährlich aussieht, bringen sich die Bewohner des Hochlands mithilfe von Graten, Pässen und Klippen darüber. Sie nehmen Stroh, Steine, eine Schale aus gebranntem Ton, Anzündholz, Holzkohle – oft von den Köhlern in Ankraths Wäldern –, einen glasierten Topf und eine Schafsblase mit. Sie graben sich ein Loch, ganz oben bei den gefährlichsten Schichten, und setzen die Schüssel auf mehrere Lagen dicht gepackten Strohs. In die Schüssel legen sie das Anzündholz, Holzkohle und Steine, damit der Topf über der Schüssel bleibt. Sie füllen den Topf mit Schnee und pumpen die Blase auf,
bis sie ganz hart geworden ist, binden sie mit einem Streifen Darmleder zu. Dann zünden sie das Holz an und gehen.
    Die Männer der Wache drängten in die Höhlen. Ich hatte gedacht, dass es ziemlich eng in ihnen werden würde, damals, als ich den Befehl gegeben hatte, die Spaten und Schaufeln zurückzulassen. Ich hatte mich gefragt, ob wir alle Platz finden würden. Ungefähr hundert schafften es hinein; es mangelte nicht an Platz.
    Vieles im Leben ist einfach nur eine Frage der richtigen zeitlichen Abstimmung.
    Ich nahm meinen Platz am Höhlenzugang ein, begierig darauf, die Klinge mit den Männern von Pfeil zu kreuzen. Bei mir war die zeitliche Abstimmung nicht richtig gewesen. So lautete die schlichte Wahrheit. Ich hätte Coddin vor Tagen oder Monaten sagen sollen, worum es ging. Das hatte ich versäumt  – ein Fehler.
    Müde Männer sterben leicht, als fänden sie Gefallen an der Vorstellung von Ewigkeit. Mir zitterten die Beine, aber meine Arme waren bereit. Mit zwei Händen führte ich die Klinge und stieß ihre Spitze dem ersten Soldaten ins Auge. Makin kam zu mir und kämpfte an meiner Seite. Jenseits des Feindes reichte mein Blick in Endlosigkeit. Ich sah die wilde Weite der Berge und hinter ihnen den Tagesmond, weiß wie die Erinnerung an Knochen. Leise Klänge des Schwertlieds erreichten mich, als ich meine Klinge schwang und sie halb durch den Hals eines Mannes schnitt. Das Schwert fühlte sich leichter an und tanzte zum Lied, als hätte es ein eigenes Leben, als pulsierte Blut in seinem Innern. Mit einem leisen Fauchen fuhr die Klinge durch die Luft, und Männer fielen in Stücken. Die Sonne schien scharlachrot auf das Schwert meines Onkels, als wollte sie eine Nachricht für den Fürsten von Pfeil heliografieren.
    »Es tut mir leid!«, rief ich Makin und den anderen zu.
    Zeitliche Abstimmung.
    Wir waren dem Feind nicht weit genug voraus. Die Männer von Gutting hätten das Feuer in den Schüsseln angezündet, als sie uns aus dem Tal kommen und die Flanke des Berges erreichen sahen. Ich hatte gedacht, dass wir die Höhlen mit ausreichendem Abstand erreichen würden, dass wir uns eingraben und den Hang mit Pfeilen freihalten konnten. Ich hatte mich geirrt, nur um einige Minuten, aber genug, um dem Feind Gelegenheit zu geben, die Höhlen mit unseren Leichen zu füllen.
    Makin fluchte und warf sich zurück, entging dadurch einer schwingenden Klinge.
    Fast hätte ich erneut »Es tut mir leid« gesagt, aber ein Berg ist ein guter Ort fürs Sterben. Wenn man schon sterben muss, dann irgendwo mit guter Aussicht.
    Ich kämpfte in Zeitlosigkeit, erfüllt von einer grimmigen Freude. Hitze stieg in mir auf, bis die Narben in meinem Gesicht brannten und der kalte Wind mich nicht mehr berührte. Jeder Teil des Kampfes schien zu einer geheimen Partitur zu gehören, und das Gefühl für die richtige zeitliche Abstimmung, das mich zuvor verlassen hatte, kehrte im Schreien von Stahl auf Stahl zurück. Eine Wildheit entfaltete sich in mir, und ich dachte an den brennenden und verbrennenden Ferrakind. Ich dachte daran, dass sich das, was ihn zum Menschen machte, in den Flammen verlor.
    Parieren, zustoßen, zur Seite treten. Das kratzende Geräusch meines Schwerts, wenn es aus dem Leib des Gegners kam. Wenn eine schwere Klinge den Kopf eines Mannes trifft, der beim langen Aufstieg seinen Helm verloren hatte, so ist rotes Chaos die Folge, viel schlimmer als das, was ein Schlachter im
Schlachthaus anrichtet. Hirn, Schädel und Haar folgen der Bewegung des Schwertes in einem nassen Bogen, scharlachrot, weiß und grau. Teile des Gesichts hängen für einen Moment da, zum Beispiel ein Auge, das seine Flüssigkeit verströmt. Dann fällt alles, und der

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