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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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Worte, immer und immer wieder, als wäre ein Teil seines Wahns auf mich übergegangen. Ich dachte an die Träume, die ich hatte. Mir scheint, ich habe schon einmal gehört, wie man Sageous Traumhexer nannte, aber es war mir nicht wichtig erschienen. Ich hatte es nicht vergessen, doch die Erinnerung daran war in den Hintergrund gerückt. Ich hatte es nicht mehr gesehen, ebenso wenig wie das Messer, mit dem ich versuchte, Jorg zu erstechen. Jetzt sehe ich es.
    Der Heide ist in meinem Kopf gewesen. Ich weiß es. Er hat dort Geschichten geschrieben, an der Innenseite meines Schädels, hinter meinen Augen, so wie er auf seine eigene Haut geschrieben hat. Ich muss darüber nachdenken. Um es zu enträtseln. Heute Nacht träume ich mir eine Festung und schlafe geschützt von ihren Mauern. Und wehe jedem, der dort nach mir sucht.
     
    Die Soldaten brachten mich durchs Tor von Rom in die Untere Stadt, über die Brücke des Wandels – die aufgehende Sonne färbte den Fluss darunter rot. Ich wusste, dass etwas Schreckliches geschehen war. Ganz Crath City blieb still, als
breitete sich in den Gassen der Stadt ein furchtbares Geheimnis aus, wie Gift in Adern. Fensterläden, für den Morgen geöffnet, klappten zu, als wir vorbeikamen.
    Oben in der Hohen Burg läutete eine Glocke, immer wieder. Die eiserne Glocke des Dachturms. Ich bin einmal oben gewesen und habe sie gesehen, aber bisher wurde sie nie geläutet. Doch ich wusste, dass nur diese Glocke infrage kam – von keiner anderen erwartete ich einen so scharfen, weithin hallenden Ton. Als Antwort erklang eine einzelne tiefe Stimme von Unserer Lieben Frau.
    Ich fragte die Soldaten, aber sie wollten nichts sagen, nicht einmal spekulieren. Diese Männer kannte ich nicht, nur ihre Farben waren mir vertraut. Es waren keine Burgwächter, sondern Soldaten, für die Suche rekrutiert.
    »Hat er seinen Vater getötet?«, fragte ich sie. »Hat er ihn getötet?«
    »Wir haben die ganze Nacht nach Euch gesucht, Mylady. Von der Burg haben wir nichts gehört.« Der Feldwebel neigte den Kopf und nahm seinen Helm ab. Er war älter, als ich gedacht hatte, und so müde, dass er im Sattel schwankte. »Lasst die Neuigkeit besser warten, bis sie sich selbst erzählen kann.«
    Eine kalte Gewissheit packte mich. Jorg hatte Sareth umgebracht. Er hatte sie dafür erwürgt, den Platz seiner Mutter an Olidans Seite eingenommen zu haben. Ich wusste, dass man mich zu ihrer Leiche führen würde, kalt und weiß, aufgebahrt in der Gruft, wo die Ankraths liegen. Ich biss mir auf die Lippe, sagte nichts und überließ es den Pferden, die Entfernung zurückzulegen, die mich davon trennte, Bescheid zu wissen.
    Wir kamen durchs Dreifache Tor, und auf dem Pflaster klappernde Hufe kündigten uns an. Stallburschen eilten herbei,
nahmen die Zügel und halfen mir beim Absteigen, als wäre ich eine alte Frau. Die ganze Zeit über läutete die eiserne Glocke, so laut, dass wir Kopfschmerzen bekamen und die Zähne zusammenbissen.
    Im Hof hatte jemand einen Myrre-Stock angezündet; er steckte in einem Fackelhalter bei der Winde. Wenn Kummer einen Geruch gehabt hätte, so wäre es dieser gewesen. Auch in Scorron verbrennen wir Myrre, für die Toten.
    Vom Fensterbogen hoch über dem Balkon der Kapelle hörte ich ein Wehklagen zwischen den einzelnen Glockenschlägen. Die Stimme einer Frau. Noch nie hatte ich solche Laute von meiner Schwester vernommen, aber ich erkannte ihre Stimme, und die Furcht, die mir am Tor von Rom kalte Zähne in den Rücken geschlagen hatte, bohrte sich mir nun in den Bauch. Diese Schreie, wie vom Schmerz einer offenen Wunde, konnten nicht Olidan gelten.

44
Vier Jahre zuvor
    Ich ging zu meiner Großmutter in ihren Gemächern. Onkel Robert hatte mich darauf hingewiesen, dass sie ihr Alter nicht so würdig trug wie Großvater.
    »Sie ist nicht mehr die Frau, die sie einmal war«, sagte er. »Aber sie hat ihre Momente.«
    Ich nickte und wandte mich zum Gehen. Er hielt mich an der Schulter fest. »Sei behutsam mit meiner Mutter.«
    Selbst jetzt hielt man mich noch für ein Ungeheuer. Einst versuchte ich, eine Legende zu schaffen und Furcht bei denen zu säen, die vielleicht gegen mich standen. Jetzt zog ich jene Geschichten hinter mir her, ins Zuhause meiner Mutter.
    Die Zofe führte mich ins Zimmer und zu einem bequemen Stuhl dem gegenüber, auf dem meine Großmutter saß.
    Von allen meinen Verwandten trug Großmutter besonders viel von meiner Mutter in sich. Es lag in den Linien ihrer Wangenknochen

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