König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
klein habe ich ihn mir nicht vorgestellt. Ich beuge mich vor und hebe ihn hoch. Er füllt kaum meine Hände und seufzt leise, ohne zu erwachen.
Die Arbeit eines Mörders ist schmutzig.
Ich habe geschworen, den Kaiserthron zu nehmen, den schwersten Weg einzuschlagen und den Hundertkrieg zu gewinnen, um jeden Preis. Und hier halte ich in meinen beiden Händen einen Schlüssel zum Goldenen Tor. Der Sohn der Frau, die den Platz meiner Mutter einnahm. Der Sohn, für den mein Vater mich verstieß. Der Sohn, der mein Erbe bekommen soll.
»Ich bin gekommen, um dich zu töten, Degran«, flüstere ich.
Er ist weich und warm, hat einen großen Kopf und winzige Hände. Das Haar so fein. Mein Bruder.
Das Glühen der Lampe findet die weißen Narben an meinen Armen, als ich den Säugling hebe. Erneut fühle ich die Dornen in mir.
Ich sollte ihm schnell das Genick brechen und diesen Ort verlassen. Im Spiel des Reichs wäre dies kein seltener Zug, nicht einmal ein ungewöhnlicher. Brudermord. Es geschieht so oft, dass es ein Wort dafür gibt. Und häufig sind es tatsächlich die Hände des Bruders, die das Verbrechen begehen.
Warum also zittern meine Hände so?
TU es, bring es hinter dich.
Du bist schwach, Jorg. Selbst mein Vater fordert mich auf, es zu tun. Schwach.
Ich fühle die Dornen tief in mir, wie sie sich mir in die Knochen bohrten, als ich versuchte, William zu retten, Blut strömt an mir herab. Ich spüre es. Es strömt mir über die Wangen und in die Augen, es macht mich blind. Die Dornen halten mich fest.
TU ES.
Nein.
Ich werde die Welt verbrennen, wenn sie mir trotzt, ich werde Zerstörung in ihre fernsten Winkel tragen, aber ich werde nicht meinen Bruder töten. Nicht noch einmal. Ich bin hierhergekommen, um diese Entscheidung zu treffen. Um zu zeigen, dass ich wählen kann. Um zu beweisen, dass die Entscheidung bei mir liegt.
Ich lege Degran ins Kinderbett zurück. Ein Schaf aus Wolle erwartet ihn dort, mit Stummelbeinen und Knopfaugen. Schlaf, Bruder. Schlaf gut.
Er rollt schlaff aus meinen Händen, weiß dort, wo ihn meine Finger berührt haben. Ich verstehe nicht. Eiseskälte umschlingt mich, eine seltsame Leere entsteht in mir, bis ich nichts weiter bin als eine spröde, zerbrechliche Hülle. Ich stoße den Säugling an.
»Wach auf.«
Ich ziehe an dem Laken unter ihm und schüttele das Kinderbett. »WACH AUF!«
Er rollt hin und her, weiß von meinen Fingern, seine weiche Haut eine stumme Anklage.
»Wach auf!«, schreie ich, aber nicht einmal die Amme erwacht.
Sageous ist da, glühend steht er in einer Ecke des Zimmers. »Nekromantie, Jorg. Wie viele Schneiden hat das Schwert?«
»Ich habe ihn nicht getötet. Ich hätte ihn töten können und sollen, aber ich habe es nicht getan.«
»Doch, das hast du.« Meine Stimme ist schrill, aber Sageous spricht ganz ruhig.
»Ich will dies nicht!«, rufe ich.
»Die Nekromantie hört auf dein Herz, Jorg. Sie hört das, was
du nicht sagen kannst. Sie tut, was der geheime Kern von dir möchte und braucht. Was der Mund sagt, kümmert sie nicht. Du hast den Tod kleiner Dinge in deinen Fingern, und ein kleines Ding ist gestorben.«
»Nimm sie mir!« Ich flehe. »Bring ihn zurück.«
»Ich?«, fragt Sageous. »Ich bin nicht einmal hier, Jorg. Ich kann kaum mehr tun, als die dicke Schlampe dort schlafen zu lassen. Außerdem, ich wollte, dass du ihn tötest. Warum, glaubst du, habe ich dich hierher gebracht?«
»Du hast mich hierher gebracht?« Ich kann den Blick nicht auf ihn oder Degran richten. Auch nicht auf die Schatten, denn vielleicht starren mich Mutter und William von dort aus an.
»Mit Träumen von Katherine, die dich zur Burg brachten, und von William, um dich in sie zu locken. Wirklich, Jorg, einem intelligenten Jungen wie dir hätte inzwischen klar sein sollen, wie ich vorgehe. Nicht die Todesträume sind meine besten Waffen; es sind die subtilsten Werkzeuge, die die größte Wirkung erzielen. Ein kleiner Anstoß hier, ein Schubs dort.«
»Nein.« Ich schüttele den Kopf, als könnte ich seine Worte damit in eine Lüge verwandeln.
»Ich blute für dich, Jorg«, sagt Sageous voller Mitgefühl und mit sanftem Blick. »Ich habe dich lieb, aber du musst gebrochen werden, es ist der einzige Weg. Du hättest sterben sollen, und jetzt kann das Gleichgewicht nur wiederhergestellt werden, wenn du brichst. Nur dann können die Ereignisse den Lauf nehmen, den sie nehmen sollten.«
»Welche Ereignisse?«
»Der Fürst von Pfeil wird uns einen. Das Reich
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