König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
deiner Mutter sterben sollen.« Sageous’ Finger tasten zu den Buchstaben an seinem Hals. »Es steht geschrieben.«
Und als ich ihn erreiche, ist er nicht mehr da.
Ich wanke in den Flur. Leer. Ich schließe die Tür und lasse die Klinke mithilfe meines Metallstreifens herab. Friar Glen wird um Hilfe beten müssen. Ich habe für ihn jetzt keine Zeit mehr, und selbst durch all die von Sageous geschaffenen Schichten aus Lügen und Träumen nehme ich an, dass er irgendeine Schuld trägt.
Katherine hat mich nicht zur Hohen Burg gebracht, und Friar Glen bestimmt nicht. An der Weggabelung in den Ken-Sümpfen habe ich nicht die rechte Abzweigung gewählt, nur um das Grab meines Hundes zu besuchen. Und ich muss jetzt schnell sein. Wer weiß, welche Träume Sageous in meine Richtung schicken könnte?
Sim hat mir gezeigt, wie man schnell und leise ist. Es geht dabei nicht so sehr um Geräusche. Die Kunst besteht darin, immer zielstrebig in Bewegung zu bleiben. Jedes Zögern lädt zu einer Herausforderung ein. Andererseits: Wenn es keine
vernünftige Erklärung für die eigene Präsenz gibt, so kann völlige Stille einen verborgen halten, selbst wenn man deutlich zu sehen ist. Das Auge sieht dich, aber wenn du ein Stein bist, schenkt dir der Verstand keine Beachtung.
»Du da. Bleib stehen.«
Schließlich versagen alle Tricks, und jemand spricht einen an. Selbst an diesem Punkt fällt es den anderen schwer, zu glauben, dass man ein Eindringling ist. Wächter sind besonders stumpfsinnig, nicht zuletzt wegen des langweiligen Dienstes über viele Jahre hinweg.
»Wie bitte?« Ich wölbe die Hand am Ohr.
Man gebe vor, nicht zu verstehen, wenn man zum Stehenbleiben aufgefordert wird. Man gehe weiter, bis man nahe genug herangekommen ist. Man sei schnell, wenn man dem Wächter die Hand auf den Mund legt, ganz flach, damit er nicht hineinbeißen kann. Man stoße ihn gegen die Wand, wenn eine in der Nähe ist. Und dann ein Stich ins Herz. Achte darauf, es nicht zu verfehlen. Und sieh ihm in die Augen. Das lenkt den Wächter vom Versuch ab, Alarm zu schlagen, und außerdem stirbt niemand gern allein. Lass ihn an der Wand zu Boden sinken und verstecke ihn an einer dunklen Stelle.
Ich lasse den Toten hinter mir zurück. Ein zweiter Wächter stirbt am Ende des nächsten Flurs.
»Du!« Dieser Mann kommt mit dem Schwert in der Hand um die Ecke. Hätte mich fast zu Boden geschickt.
Scharfe Hände. Das hat Grumlow mir gesagt. Scharfe Hände. Es ist seine Anleitung für Messerarbeit. Bei einem Schwert geht es um Schwingen und Stoßen, um das richtige Bewegungsmoment, um den richtigen Zeitpunkt für Angriff und Parade. Ein Mann mit einem Messer ist ein Mann mit scharfen Händen, mehr nicht. Ein Messerkampf ist eine üble Sache.
Deshalb ziehen die meisten Männer das Schwert vor, weil man einen gewissen Abstand halten und weglaufen kann, wenn es nötig ist. Beim Messer bleibt einem nichts anderes übrig, als schnell anzugreifen, bevor der Gegner seinerseits Gelegenheit zum Angriff erhält, und sofort zuzustoßen und ihn zu töten.
Ich greife schnell an. Das Schwert des Mannes fällt auf den langen Läufer und klappert nicht.
Hinter der Ecke finde ich die gesuchte Tür. Verschlossen. Ich nehme den Schlüssel vom Gürtel des Wächters, und die Tür schwingt an geölten Angeln auf. Stille. Die Angeln eines Kinderzimmers quietschen nie. Säuglingen fällt der Schlaf schwer genug.
Die Amme schnarcht in einem Bett am Fenster. Eine Laterne mit heruntergedrehtem Docht steht auf dem Sims; nur wenig Licht geht von ihr aus. Die Schatten der Kinderbettstangen zeigen auf mich.
Ich sollte die Amme töten, aber es scheint die Alte Mary zu sein, die sich damals um Will und mich gekümmert hat. Ich sollte sie töten, doch ich lasse sie schlafen. Sie wäre schlecht beraten, jetzt zu erwachen.
Ich ziehe den Wächter ins Zimmer und schließe die Tür. Für einen langen Moment rühre ich mich nicht von der Stelle und denke an den Fluchtweg. Der Raum hat einen zweiten Ausgang, der ins Ammenzimmer führt. Solange es zwei Richtungen für die Flucht gibt, fühle ich mich einigermaßen sicher. Es gibt Tunnel, durch die man die Burg verlassen kann. Geheime Tunnel, die an verborgenen Türen in der Hohen Stadt enden. Von außen lassen sich jene Türen nicht öffnen, aber von innen schon.
Ich atme tief durch. Weißer Moschus, das Parfüm seiner Mutter. Ich schleiche zum Kinderbett und sehe auf meinen
Bruder hinab. Degran nennen sie ihn. Wie klein er ist. So
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