König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
die Hälfte von ihnen Ziegenhirten mit den Schwertern, die sie von mir bekommen hatten, blockierten den Feind. Ich sah das Blau von Lord Josts kleinem Kontingent und den Glanz der Brustharnische seiner Männer. Die Chancen der Eindringlinge standen schlecht, aber die große Masse der Soldaten hinter ihnen drückte sie nach vorn, während sie starben. Der Fürst von Pfeil ließ seine Männer aufs Schlachtfeld strömen, und meine Kämpfer töteten sie, aber nicht alle von ihnen, und die Überlebenden rückten weiter vor. Und über diesem Gemetzel lag das unentwegte Pochen der Kriegstrommeln.
»Tu etwas!«, rief Miana.
»Es spielt keine Rolle«, sagte ich. »Alle sterben.« Meine Vergangenheit und meine Geister tanzten um mich herum, die Toten, die Verratenen. Ich dachte daran, durchs Loch in der Mauer zu springen, mich über die Köpfe meiner Männer hinweg auf den Feind zu stürzen. War ein solcher Sprung möglich? Vielleicht mit einem Anlauf. Ein kurzer Lauf und dann ein langes Fallen in die Ewigkeit.
Miana schlug mich erneut. »Gib mir den Rubin.«
Ich holte ihn aus dem Beutel und legte ihn ihr in die Hand. »Du hast einen besseren Ehemann verdient.«
Miana warf mir einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe einen stärkeren verdient. Es gibt keinen Sieg ohne Opfer. Das hat mich meine Mutter gelehrt. Du musst den Einsatz erhöhen, immer wieder.«
»Deine Mutter war eine Kriegerin?« Ich schüttelte den Kopf, ich warf ihn hin und her. Träume fielen von mir ab. Die Toten hielten mich mit kalten Händen und zerrten an meinem Innern.
»Sie war eine Kartenspielerin«, sagte Miana.
Sie ging zum Kamin und nahm einen der beiden Feuerschirme, einen exotischen Gobelin in einem Rahmen aus Ebenholz. Entschlossen schlug sie den Schirm gegen die Wand, bis das Holz brach, und sie wiederholte diesen Vorgang mit dem zweiten Feuerschirm. Draußen wurde aus dem scharlachroten Keil am aufgebrochenen Tor ein Halbkreis. Jenseits der Burgmauern drängte ein blutrotes Meer nach vorn.
Miana nahm die beiden schweren Sockelsteine der Schirme und legte den Rubin zwischen sie. Sie versuchte, Streifen von den Gobelins abzureißen, aber der Stoff war zu fest, und deshalb zerriss sie den Saum ihres Hochzeitskleides und löste einige Streifen daraus.
Trotz der in mir pulsierenden Leere regte sich ein wenig Neugier.
Ein verirrter Pfeil flog durchs Fenster auf der linken Seite und bohrte sich in die Decke.
Miana band die beiden Sockelsteine fest zusammen, mit dem Rubin zwischen ihnen.
»Kämpft Lord Jost noch?«, fragte sie.
Ich kroch zum Loch in der Mauer und blinzelte, um besser zu sehen. »Ich erkenne Ritter vom Haus Morrow und glaube, einer von ihnen ist Jost.«
Miana biss sich auf die Lippe. »Manchmal kann man nur gewinnen, wenn man bereit ist, alles zu opfern«, sagte sie.
Ich begann mich zu fragen, ob die dunklen Aspekte meines Wesens vielleicht auf die mütterliche Seite meiner Familie zurückgingen.
Mianas Augen glänzten. Tränen für die Toten.
»Miana, was …«
Sie lief zum Loch in der Wand, ihre Füße im Takt mit dem
weithin hallenden Trommelschlag, und warf die zusammengebundenen Steine nach draußen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mit solcher Kraft und so weit werfen konnte. Das verschnürte Paket flog über die kämpfenden und sterbenden Männer hinweg, über die ineinander verkeilte Masse aus Angreifern und Verteidigern. Es flog über die Hochländer, über Jost, über die Fußsoldaten von Pfeil in ihren roten Umhängen, prallte auf eine leere Stelle links neben dem Tor und sprang von dort aus zum Außenwall der Burg.
Ich erinnere mich nur an Licht und Hitze. Das Donnern konnte man sogar noch in Gutting hören, aber ich hörte nichts. Eine heiße Faust schlug die Luft aus mir, und ich sah, wie Miana in Richtung Kamin zurückgeworfen wurde. Die Narben in meinem Gesicht brannten wieder, und ich heulte. Einen Moment zuvor hatte nichts eine Rolle gespielt, aber wir bestehen alle vor allem aus Fleisch und erst dann aus Träumen, und das Fleisch mag keine Schmerzen.
Ich rollte herum, auf Hände und Knie, und roch die eigene verkohlte Haut, als hätte die alte Brandwunde tatsächlich wieder Feuer gefangen. Ich kroch zum Loch und starrte nach draußen. Für einige lange Momente sah ich nur Rauch. Stille herrschte; es gab überhaupt keine Geräusche. Dann zog der Bergwind den Schleier des Rauchs beiseite, und ein Bild der Zerstörung bot sich mir dar. Die vorderen Mauern der Spukburg existierten nicht mehr. Die
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