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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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Wissenschaft, die Kontrolle über das gegenwärtige Chaos ermöglicht, wäre Arbeit genug nicht für ein Leben, sondern für viele. Aber ich mache einen Anfang. Ich finde es interessanter als Nähen.
    Orrin sagt, ich sollte es ruhen lassen. Er meint, solches Wissen verdirbt, und wenn er Gebrauch davon machen muss, so durch andere, wie Olidan, der Sageous benutzte, und Renar, der auf Corions Hilfe zurückgriff. Ich weise ihn darauf hin, dass er die Marionette und den Marionettenspieler miteinander verwechselt. Er lächelt und antwortet, vielleicht, aber wenn die Zeit kommt, wird er an den Fäden ziehen und nicht von ihnen gezogen werden. Orrin sagt, er sei sicher, dass ich aus dem gleichen Brunnen schöpfen könnte wie Sageous, aber jenes Wasser würde mich bitter machen, und süß hat er mich lieber.
     
    Ich liebe Orrin, ich weiß, dass ich ihn liebe. Doch manchmal ist es leichter, jemanden mit Fehlern zu lieben, die man ihm verzeihen kann, damit einem die eigenen Fehler vergeben werden.

    In den roten Resten der Schlacht sieht der Rote Kent oft aus,
als käme er geradewegs aus der Hölle. In einem anderen
Leben hätte er sein Land bestellt und wäre im Bett gestorben,
beklagt von Enkeln, aber im Kampf besitzt der Rote Kent eine
Klarheit, die entsetzt und verwüstet. Bei allem anderen ist
er ein von seinen eigenen Widersprüchen verwirrter Mann –
die Instinkte eines Mörders, mit der Seele eines Bauern
verheiratet. Nicht groß, nicht breit, aber kräftig und schnell,
mit robusten Wangenknochen, dunklen Augen, aus denen Mord
blickt, rissigen Lippen, narbigen Händen und dicken Fingern.
Treue und der Wunsch, treu zu sein, stehen überall an ihm
geschrieben.

46
Hochzeitstag
    »Jorg! Die Soldaten des Fürsten kommen durchs Tor!«
    Miana brauchte nicht zu rufen. Ich konnte sie durch die Fenster hören, das dumpfe Brummen der Skorpione, wenn sie ihre Speere schleuderten, die Schreie, das Klirren der Schwerter, das Summen der Bogensehnen von den Männern auf meinen Mauern, während sie in die eigene Burg hinabschossen. Und die Trommeln! Das wütende Pochen der Kriegstrommeln meines Onkels Renar. Ein Pochen so laut und leidenschaftlich, dass es selbst die sanftesten Männer Teil des Tiers werden lässt. Dieser Trommelschlag gibt Mut und eiserne Entschlossenheit.
    Mein Onkel hätte sie an jenem Tag erklingen lassen sollen, als ich zu ihm gekommen bin.
    Nichts davon spielte eine Rolle. Sageous’ giftige Träume erfüllten mich, waren jedoch nur Variationen des Albtraums, für den ich selbst verantwortlich war. Ich hatte meinen Bruder getötet. Nach allen von der Suche nach Rache bestimmten Jahren – nach Jahren des brennenden Wunsches, Williams Mörder zu erreichen –, hatte ich das Leben meines Bruders
genommen, eines Säuglings, der so klein war, dass er kaum meine Hände füllte.
    »Jorg!«
    Ich achtete nicht auf sie, hob die Hände vors Gesicht und erinnerte mich an das Gefühl, ihn darin gehalten zu haben, erinnerte mich an die Erkenntnis, dass er tot war. Degran. Mein Bruder.
    Lehrer Lundist hat mir einmal eine Zeichnung gezeigt. Das Gesicht einer alten Frau. Sieh noch einmal hin, sagte er, es ist ein junges Mädchen. Und das war sie. Auf den Blick des Betrachters kam es an. Nichts hatte sich verändert, nicht eine einzige Linie, und doch war alles anders. Das Kästchen gab mir Degran zurück, und über die Jahre hinweg hatte er zu mir gesprochen. Sieh noch einmal hin, hatte er mir gesagt. Betrachte dein Leben – und jetzt sieh es dir noch einmal an. Und plötzlich spielte nichts mehr eine Rolle.
    Sie schlug mich, die kleine Schlampe schlug mich, und für eine Sekunde spielte das eine Rolle. Ihr ganzes Gewicht hatte sie in den Schlag gelegt. Doch der Zorn verschwand noch schneller, als er gekommen war.
    Dann traf ein großer Stein das Fenster rechts von uns. Splitter rasten durchs Zimmer und schmetterten an die hintere Wand. Staub wogte um uns herum.
    »Ich will hier nicht sterben«, sagte Miana.
    Sie hatte die Hand in meinem Haar und drehte mir den Kopf zum Fenster mit den krummen, aus dem Gestein gelösten Gitterstäben. Ein Teil der Mauer unter dem Fenster existierte nicht mehr, und durch das Loch sahen wir den Hof, wo sich am Morgen die Bauern versammelt hatten, um uns zu bejubeln. Ein Keil aus Soldaten von Pfeil, an ihren scharlachroten Umhängen deutlich zu erkennen, war durch die Reste des zerstörten
Fallgatters vorgestoßen, das Gorgoth einst für mich offen gehalten hatte. Meine Männer,

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