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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lawrence
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hören wollte, ja, aber nicht jetzt, nicht hier in dieser vertrackten Realität hinter der Maske der Arena. Ich wusste nicht, warum ich hierhergekommen war, doch gewiss nicht, um zu sehen, wie Serra ihre Jahre und ihre Not zeigte.
    Einen Moment herrschte Stille, und dann hörte ich ein Knurren, zu kehlig und tief für einen Bären, wie von einer großen Raspel, die über Holz kratzte.
    »Was zum …«
    »Ein Löwe«, sagte Serra. Sie drehte sich, ihr Gesicht erstrahlte, und sie nahm meine Hand. »Siehst du?«
    Und hinter der Ecke, ganz unten in einem Stapel aus Käfigen, hatte Dr. Taproot tatsächlich einen Löwen. Ich hob die Armbrust des Nubiers und warf einen Blick auf die Schmiedearbeit, die den Abzugbügel umgab. Das Tier im Käfig mochte ein wenig heruntergekommen sein und zu viele Rippen zeigen, aber die schmutzige Mähne ähnelte jener, die die knurrende Schnauze am Bogen des Nubiers umgab.
    »Na so was«, sagte ich. Der Nubier hatte mir erzählt, dass er in seiner Jugend durch heiße Savannen gewandert war, wo Löwen in Rudeln jagten. Zwar log der Nubier nie, aber ich hatte ihm nur halb glauben können. »Na so was.« Diesmal fehlten mir die Worte.
    »Er heißt Macedon«, sagte Serra und beugte sich zu mir. »Die Leute lieben ihn.«
    »Was hat Taproot sonst noch in seinen Käfigen? Bekomme ich gleich einen Greif zu sehen, und dann ein Einhorn und einen Drachen, eine ganze Wappengruppe?«
    »Dummerjan«, hauchte sie. Alt oder nicht, ihre besondere Magie blieb nicht ohne Wirkung auf mich. »Es gibt keine Drachen.« Ein Lächeln huschte über ihre geschminkten Lippen, über ihren kleinen, zum Küssen einladenden Mund.
    Ich schüttelte es ab – es gab zu viele Ablenkungen im Zirkus. Ablenkungen, die ich mir genau ansehen wollte. Aber Geister folgten mir, und Gog konnte jeden Moment in Flammen aufgehen …
    »Er sieht hungrig aus«, sagte ich. »Kann der Zirkus seiner Hauptattraktion nicht genug zu fressen geben?«
    »Er will nicht fressen«, sagte Serra. »Taproot rauft sich deshalb
die Haare. Er weiß nicht, wie lange Macedon noch überlebt.«
    Der Löwe beobachtete uns. Wie eine Sphinx saß er da, die Pranken nach vorn gestreckt. Ich begegnete dem Blick seiner großen bernsteinfarbenen Augen und fragte mich, was sie sahen. Wahrscheinlich einen Fleischbrocken auf zwei Beinen, die nicht fürs Laufen bestimmt waren.
    »Er möchte jagen«, sagte ich.
    »Wir geben ihm Fleisch«, erwiderte Serra. »Frisches Fleisch von Kühen, noch blutig. Er beschnuppert es kaum.«
    »Es sollte ihm nicht gegeben werden«, sagte ich. »Er muss es reißen.«
    »Das ist dumm.« Serras Finger strichen über meine und ließen es in mir brennen.
    »Es liegt in seiner Natur.« Ich wandte den Blick ab. Wenn es darum ging, wer von uns am längsten starren konnte, hatte ich geringe Aussichten, den Sieg zu erringen.
    »Ihr solltet ihn freilassen«, sagte ich.
    Serra lachte, und es klang ein wenig zu schrill. »Was würde er dann jagen? Sollen wir ihn Kinder fressen lassen?«
    Ein Schrei in der Ferne ersparte mir eine Antwort. Ein Schrei und eine weit emporzüngelnde Flamme. Ein bereits erloschenes Lagerfeuer in der Nähe erwachte zu neuem feurigen Leben. Die Flammen flackerten, und ein Geräusch kam von ihnen, als saugten sie Luft an. Dann verwandelten sie sich in einen kleinen Mann, in einen Homunkulus, nicht größer als ein Huhn. Der Mann sah sich kurz um und lief los, in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Er hinterließ eine schwarze Feuermulde, aus der Rauchfäden kräuselten, und kleine verbrannte Fußabdrücke.
    Serra öffnete den Mund, wie um selbst zu schreien, überlegte
es sich anders, schloss ihn wieder und folgte dem kleinen Mann.
    Mein Blick kehrte zum Löwen zurück, der unberührt schien von der ganzen Aufregung.
    »Glaubst du, dass Taproot Gog noch immer für seine Monstrositätenschau möchte?«, fragte ich.
    Der Löwe antwortete nicht, beobachtete mich nur mit seinen bernsteinfarbenen Augen.
    Der Nubier hatte die Löwen als prächtige Geschöpfe beschrieben, als Herren der großen Savanne. Er verstand, warum Männer, die nie einen gesehen hatten, unter ihrem Bild auf einem Banner kämpften. Wenn er von Löwen sprach, an kalten Abenden an einem Lagerfeuer neben der Straße, war mir, als sähe ich die Savanne vor mir, mit den Rudeln. Ich hatte mir Löwen nicht in Käfigen vorgestellt, räudig, abgemagert und voller Flöhe, in Gesellschaft einer zweiköpfigen Ziege.
    Ein einzelner Nagel hielt die Tür des

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