König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
unterbringen können.
Ich kam an den Tänzerinnen vorbei, die nicht weit gegangen waren.
»Erinnerst du dich an mich, Jorg?« Cherri lächelte. Die andere nahm eine Pose ein. Beide befolgten Taproots Rat. Hüften und Brüste.
»Natürlich erinnere ich mich.« Ich deutete eine Verbeugung an. »Aber leider bin ich nicht zum Tanzen hier, werte Damen.«
An Cherri erinnerte ich mich, geschmeidig und keck, das Haar von Zitronensaft gehellt und jeden Morgen an heißen Stangen gewickelt, eine Stupsnase und sündige Augen. Beide näherten sich, halb spielerisch, halb ernst, mit umherwandernden Händen, warmem Atem und jenem Schwingen im Becken, das von Verlangen kündet. An ihre Freundin – dunkelhaarig, mit bleicher Haut und wundervollen Kurven – erinnerte ich mich nicht, und das bedauerte ich.
»Möchtest du ein bisschen spielen?«, murmelte die Freundin. Sie roch Geld. Aber manchmal spielte der Grund keine Rolle.
Ich verließ sie und schlüpfte durch einen Ausgang in der Rückseite des Zelts. Auf dem offenen Platz weiter links war Thomas gerade damit beschäftigt, ein Schwert zu schlucken, wobei ihm mehrere Zirkuskinder zusahen. Eigentlich brauchte Thomas gar nicht zu üben, aber so war er eben, machte anderen gern eine Freude. Eine seltsame Mischung, Zigeuner und Talent; sie brauchte den Fackelschein der Arena, fühlte sich nur geschminkt lebendig. Einige von ihnen würden nach einer Woche ohne Applaus dahinsiechen und sterben, das schwöre ich.
Ein Knurren von den Käfigen weckte meine Aufmerksamkeit.
Es standen einige am östlichen Rand des Lagers, wo der Wind den Gestank forttrug. Der Zirkus hatte noch immer die beiden Bären, an die ich mich erinnerte: Stumpfsinnig stapften sie in engen Kreisen, ihre bronzenen Nasenringe groß genug, den Arm hindurchzustrecken. Die große Schildkröte – Taproot behauptete, sie sei zweihundert Jahre alt – lag völlig still und war so interessant wie ein großer Stein. Sie befand sich nicht in einem Käfig, sondern war an einen Pflock gebunden. Die zweiköpfige Ziege kannte ich noch nicht; sie bot einen traurigen Anblick. Andererseits hätte sie eine Totgeburt sein sollen und war also gesünder, als ihr eigentlich zustand. Gelegentlich sahen sich die beiden Köpfe und erschraken, schienen vom Anblick des jeweils anderen überrascht zu sein.
»Siehst du etwas, das dir gefällt?« Eine weiche Stimme hinter mir.
»Jetzt schon.« Ich drehte mich zu ihr um. Sie sah gut aus.
»Jorg«, sagte Serra. »Mein süßer Jorg. Nicht weniger als ein König.«
Ich zuckte die Schultern. »Ich finde nie ein Ende.«
Sie lächelte. »Nein.« Dunkel und wundervoll.
»Ich habe Thomas dort drüben gesehen, wie er eine Schau abzog«, sagte ich.
Serra schmollte, als ich ihren Mann erwähnte. »Es erstaunt mich immer wieder, dass Leute so etwas sehen wollen.«
»Deshalb ist der Zirkus auf Reisen«, erwiderte ich. »Alles wird schnell alt. Das Schlucken von Schwertern, das Spucken von Feuer, die Schönheiten eines Abends oder zwei …«
»Und bin ich schnell genug alt geworden?«, fragte sie. »König Jorg vom Hochland?«
»Nie«, sagte ich. Wenn die Sünden des Fleisches jemals alt werden, so wollte ich nicht genug Jahre für mich, um es zu
erfahren. »Ich habe kein Mädchen gefunden, mit dem ich dich vergleichen könnte.«
»Mädchen« stimmte nicht ganz, aber sie war gut zehn Jahre jünger als Thomas, und wer eignete sich besser als die Schlangenfrau eines Zirkus’, um einen Jungen mit der Fleischlichkeit vertraut zu machen?
Serra kam näher, ein vor dem kühlen Wind schützendes Tuch um die Schultern geschlungen. Sie bewegte sich auf die geschmeidige, wie flüssige Art und Weise, die jeden Beobachter darauf hinwies, dass sie die Füße hinter dem Kopf kreuzen konnte. Trotzdem, auf ihren Wangen zeigten sich hier und dort Risse im weißen Puder, und in den Augenwinkeln fand unfreundliches Morgenlicht kleine Falten. Sie trug ihr Haar noch immer in kleinen Zöpfen und Knoten, doch das passte jetzt nicht mehr zu ihr, und an einigen Stellen bemerkte ich silbergraue Strähnen.
»Wie viele Zimmer hat dein Palast, Jorg?« Etwas Raues lag in ihrer Stimme, und hinter dem Lächeln lag fast so etwas wie Verzweiflung.
»Viele«, sagte ich. »Die meisten sind kalt, steinern und feucht.« Ich wollte nicht, dass sie zu betteln begann und damit meine goldenen Erinnerungen beschmutzte. Eigentlich wusste ich gar nicht, warum ich das Zirkuslager aufgesucht hatte. Weil ich Taproots Geschichten
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