König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
sich ihm und machte ihm ein Angebot. Wenn er ihr von seinem göttlichen Feuer gäbe, würde sie sich ihm unterwerfen und auf die Seite des Bösen wechseln. Samael ging auf ihr Angebot ein, denn auch wenn er ihre Seele auf diesem Weg nicht für ewig an die Erde binden konnte, so würde er doch aus dem Mädchen einen Dämon erschaffen, der gänzlich dem Bösen angehören würde. Sie verbrachten eine Nacht miteinander und während sie sich in Leidenschaft verbanden, gab Samael ihr von seinem göttlichen Feuer. Dadurch wurde sie unsterblich und sie erhielt die Gestalt eines Engels, der sich frei in den Lüften bewegen kann. Doch das Mädchen hatte Samael getäuscht – als er ihre Unterwerfung einforderte, widersetzte sie sich ihm! Da sie nicht länger ein Mensch war, hatte er keine Macht mehr über ihren Körper oder gar ihre Seele. Sie war zu einem Menschen im Körper eines Engels geworden, ein Engel mit der Seele eines Menschen! Nicht Samael hatte sie verführt, in Wirklichkeit hatte sie ihn verführt und betrogen. So kam es, dass dieses Mädchen zu dem vielleicht machtvollsten Wesen in der gesamten Schöpfung wurde!“
„Und dieses Mädchen hieß Lilith?“, fragte Eleanor fasziniert.
Raphael nickte stumm.
„Aber was macht sie so gefährlich?“, hakte Eleanor nach. „Ist es nicht gut, wenn wenigstens ein einziger Engel die Seele eines Menschen hat?“
Raphael sah Eleanor traurig an. „Eure Seelen sind so unendlich viel mächtiger als unsere“, sagte er schließlich. „Wir Engel mögen in der Vergangenheit fehlgeleitet gewesen sein, aber letztendlich sind unsere Seelen doch immer gut, weil sie an Gott hängen und ihm zu Willen sein wollen. Deshalb gibt es Regeln, an die wir uns halten. Lilith hingegen ist viel… nun ja… wandelbarer. Sie kann sich wie ein Mensch für das Gute oder das Böse entscheiden, kann vollkommen vorsätzlich sündigen. Sie kann sich sogar gänzlich von Gott lossagen, denn sie ist auf niemanden angewiesen. Sie steht auf niemandes Seite, nur auf der eigenen. Und all das ist verbunden mit der Macht eines Engels.“
Die beiden begannen, sich langsam wieder in Bewegung zu setzen und nach Stratton Hall zu gehen. Der Asphalt war nass, noch immer fiel ein kalter unangenehmer Regen durch das umliegende Blätterdach zu beiden Seiten der Straße und erzeugte ein beständiges Rauschen, Tropfen und Gluckern. Normalerweise hätte Eleanor sich zu diesem Zeitpunkt ein Dach über dem Kopf, eine warme Badewanne und einen heißen Tee gewünscht. Jetzt aber lauschte sie voll Spannung auf Raphaels Geschichte und die Welt um sie herum war vergessen.
„Lilith ist nicht grundsätzlich böse“, fuhr er fort. „Ebenso wie ein Mensch kann sie auch sehr edel sein. Aber sie genießt ihre Macht und je nach Situation kann sie sehr gefährlich und auch tödlich sein. Sie ist vollkommen unberechenbar und man weiß nie, was sie als nächstes tun wird. Damit steht sie außerhalb jeder Ordnung und jeden Systems.“
Eleanor nickte. „Ich kann gut verstehen, dass dich so etwas erschreckt. Hast du eine Ahnung, warum sie uns beobachtet hat?“
„Sie hat nicht uns beobachtet. Sie hat dich beobachtet. Zweifellos hat sie von den Geschehnissen in der Welt der Engel Wind bekommen und wollte dich sehen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen. Ich wage gar nicht darüber nachzudenken, auf was für Ideen sie deinetwegen verfallen könnte.“
Die beiden gingen schweigend eine Weile nebeneinander her. Nach der nächsten Wegbiegung würde man das schwere Eingangstor des Sanatoriums bereits sehen können, doch Eleanors Blick war starr auf den Asphalt zu ihren Füßen gerichtet. Merkwürdigerweise empfand sie auf Raphaels Worte hin keinerlei Furcht. Vielleicht lag es daran, dass Lilith als Mensch Eleanor um so vieles ähnlicher war, als beispielsweise Asasel. In gewisser Weise schienen Eleanor die bösartigen unter den gefallenen Engeln wesentlich unberechenbarer. Ein Mensch war doch immer noch ein Mensch, mit den gleichen Gefühlen, Ängsten und Sehnsüchten wie alle anderen. Wie konnte Lilith dann für jemanden wie Eleanor eine Gefahr darstellen? Unbewusst griff sie nach Raphaels Hand und ein warmer Strom von Stärke und Zuversicht floss durch sie hindurch. Hand in Hand gingen sie die letzten Meter zur Wegkehre vor dem Eingangsportal von Stratton Hall. Noch immer fiel der Regen und durchnässte sie, doch Eleanor nahm ihn nicht länger als unangenehm wahr. Durch Raphaels Berührung wirkte der Regen nun sanft,
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