König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
bewundern.
„Wer bist du?“, fragte er schließlich.
Sie antwortete: „Ich bin Lilith und du bist allein hier, weil ich dich gerufen habe!“
Der Ritter nickte, doch er verstand die Worte Liliths nicht. „Warum hast du mich zu dir gerufen?“, fragte er.
„Ich sah dich vor vielen Jahren an eben jenem Tag, als du von mir träumtest.“, erwiderte sie. „Damals begehrte ich dich so sehr, dass ich mich in deine Träume schlich und dir eingab, nach mir zu suchen. Wenn du mich fändest, wollte ich eine Nacht mit dir verbringen.“
Der Ritter lächelte selig. „Hier bin ich nun!“, sagte er.
„Ja, hier bist du!“, erwiderte Lilith kalt. „Aber du hast Jahre gebraucht, um mich zu finden. Jetzt bist du alt und verbraucht, meiner nicht mehr würdig!“
Der Ritter erschrak. „Aber was soll nun aus mir werden?“, fragte er. „Ich habe mein ganzes Leben in den Dienst der Suche nach dir gestellt. All meine Jahre habe ich vertan, weil du mir eingegeben hast, nach dir zu suchen. Und nun willst du mich nicht?“
„Nein!“
Der Ritter begann vor Verzweiflung zu weinen. „Was soll ich denn nun tun?“, fragte er.
„Sterben!“, erwiderte Lilith und mit diesem einen Wort berührte sie ihn und verbrannte ihn durch ihr göttliches Feuer. Von dem Ritter blieb nichts übrig, nicht einmal ein wenig Asche.“
„Das ist ja schrecklich!“, stöhnte Eleanor auf.
Raphael nickte. „Lilith ist zutiefst selbstsüchtig, sie denkt nur an sich und die Nöte anderer sind ihr egal. Der Ritter war nur einer von vielen, denen sie weit mehr als ihr Leben gestohlen hat. Sie spielt mit Menschenleben und Seelen ganz wie es ihr beliebt.“
Eleanor starrte schweigend auf den Tisch. Nun verstand sie, was Raphael mit unberechenbar gemeint hatte. Während gefallene Engel vielleicht fehlgeleitet, vielleicht auch voll Hass und zuweilen hinterhältig waren, so handelte Lilith aus einer Laune heraus. Sie hielt sich an keinerlei Regeln, nur an das, was ihr im Augenblick in den Sinn kam. Und da sie im Gegensatz zu den gefallenen Engeln gar nicht im Sinn hatte, zu Gott zurückzukommen, fürchtete sie auch keinerlei Konsequenzen für ihr Handeln. Sie fühlte sich Gott gegenüber nicht verantwortlich für ihre Taten. Eleanor erschauerte. Wahrscheinlich gab es im ganzen Universum niemanden, der eine solch unendliche Freiheit genoss und der dadurch so extrem gefährlich war. Sie zuckte unbewusst zusammen, als Raphael seine Hand auf die ihre legte.
„Fürchte dich nicht“, sagte er. „Ich werde nicht zulassen, dass sie dir schadet. Jetzt, da wir wissen, dass sie sich für dich interessiert, werde ich besonders stark auf dich achten. Sie wird es schwer haben, an dich heranzukommen.“
„Und wenn es ihr doch gelingt?“, fragte Eleanor mit bebender Stimme.
Raphael zögerte keinen Augenblick. „Sollte sie dir Schaden zufügen, werde ich sie bis ans Ende der Zeit jagen und aus dieser Welt befördern!“
Eleanor erschrak. „Aber ihr das göttliche Feuer zu nehmen, wird auch dich töten…“
Raphael sah betreten zur Seite. Es dauerte eine Weile, bis er seine Gedanken in Worte zu fassen vermocht. „Ich könnte es nicht ertragen, dich auf diese Weise aus dem Leben gerissen zu sehen“, flüsterte er. „Ich wäre so voll Zorn, dass ich sicher Vergeltung würde üben wollen.“
„Du musst mir versprechen, dass du nichts dergleichen tust“, erwiderte Eleanor erregt, indem sie seine Hand fest drückte. „Wenn du dein göttliches Feuer aufgibst um sie zu töten, stirbst du unwiderruflich. Dann werden wir uns im Jenseits nicht wiedersehen. Wenn ich diese Welt irgendwann verlasse, kannst du mir doch folgen, an welchen Ort ich auch immer gehen werde. Aber dazu musst du dir das göttliche Feuer erhalten. Versprich mir, dass du leben bleibst! Versprich es mir!“
Zögernd nickte Raphael. Doch er konnte Eleanor dabei nicht in die Augen sehen und das Versprechen verließ seine Lippen nicht.
An diesem Abend lag Eleanor lange wach. In den vergangenen Wochen, seitdem sie Raphael kennengelernt hatte, war die Angst ein vertrauter Begleiter für sie geworden. Sie hatte die Angst vor Unbekanntem kennengelernt, die Angst der Toten in der ewigen Verdammnis, die Angst der gefallenen Engel vor ihrem unwiderruflichen Verlust von Gottes Nähe. In dieser Nacht kam eine neue Angst für sie hinzu – die Angst, ein geliebtes Wesen zu verlieren. Die Vorstellung, Raphael könne aus Rache für sie sein eigenes Leben wegwerfen, erschien ihr unerträglich.
Weitere Kostenlose Bücher