König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Eleanor musste sich eingestehen, dass sie in den letzten Wochen ihre Angst vor dem Tod vollkommen verloren hatte. Wo andere Menschen zweifelten, da wusste sie. Wovor andere Menschen sich fürchteten, war ihr ein Trost. Die Vorstellung, zu sterben und zu wissen, dass es auf der anderen Seite eine andere Welt gab, in die Raphael ihr folgen würde, hatte etwas unbeschreiblich Wohltuendes gehabt. Nun jedoch war durch Liliths bloße Anwesenheit diese Sicherheit bis in ihre Grundfesten erschüttert.
Eleanor zog die Bettdecke bis an ihr Kinn und starrte in die Dunkelheit ihres Zimmers hinaus. In diesem Augenblick begann sie Lilith zu hassen. Allein um der Furcht willen, die sie ihretwegen um Raphael und sich selbst zu spüren begann, hasste sie Lilith aus vollem Herzen. Ein Teil von ihr wünschte sich in diesem Moment geradezu, dass Lilith jetzt hier wäre. Die Angst und den Hass hinauszuschreien wäre sicher besser, als beides in der Dunkelheit der Nacht hinunterzuschlucken. Doch das Zimmer blieb leer und finster. Das Ticken des Weckers neben dem Bett war das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach und Eleanor sagte, dass diese Nacht Schritt für Schritt an ihr vorüberwanderte.
„Mein Gott, Lilith ist tatsächlich mächtig!“, durchzuckte sie ein Gedanke. „Ich hatte noch nicht einmal mir ihr zu tun, aber schon jetzt bestimmt sie mein ganzes Leben. Sie schleicht sich in meine Nächte, sie ängstigt mich und erzeugt Hass in mir. Könnte ich sie erwürgen, würde ich es tun. Dabei kenne ich sie nicht einmal. Ich weiß nichts über sie, nicht einmal, warum sie so geworden ist. Wenn ich so über jemanden denke, wie soll ich dann jemals nach meinem Tod um die Hölle herumkommen?“
Diese Nacht wurde zu einer der längsten in Eleanors Leben. Hin- und hergerissen zwischen Sorgen, Ängsten und Hass kauerte sie in ihrem Bett und zermarterte ihre Seele. Mehr und mehr begann sie zu glauben, dass Samael den Menschen mit Lilith unbeabsichtigt eine Geißel erschaffen hatte, die nicht besiegt werden konnte.
Von Geistern und Dämonen
In den Tagen und Wochen nach Jeshuas Heilung des Aussätzigen in Bethanien tat sich Erstaunliches im Lande. Die Kunde von dem jungen Mann, der durch das Land zog, von Gott sprach und einen Aussätzigen geheilt hatte, verbreitete sich in Windeseile. Schon munkelte man, dass er der Messias sein könne, der von Gott Gesandte, der das Ende der Welt ankündigte und sie zugleich für immer heilen sollte. Jeshua selbst stritt dies nicht ab, ja er bestärkte die Menschen in dieser Vorstellung, doch gab er ihnen zugleich zu verstehen, dass sie diese Erkenntnis vor den Oberen des Landes geheim halten sollten, denn er wusste sehr wohl, dass es sonst um ihn geschehen wäre.
Das Land Judäa war lange schon kein souveränes Königreich mehr, sondern zum Protektorat innerhalb des römischen Reiches verkommen. Regiert von korrupten und schwachen Beamten, Prokuratoren, die nicht mehr als Marionetten in den Händen des mächtigsten Puppenspielers dieser Zeit waren – des römischen Kaisers. Unter der gefürchteten Adlerstandarte marschierten dessen ewig siegreiche Truppen unaufhaltsam durch die Welt und unterwarfen all jene, die sich nicht beugten. Nichts und niemand schien sie aufhalten zu können, als seien sie ein Lavastrom, eine Naturgewalt, die auch vor Stein und Wasser nicht halt macht. Was nützte es da, wenn immer wieder im römischen Reich vereinzelt Aufstände ausbrachen? Gegen eine Naturgewalt halfen auf Dauer keinerlei Maßnahmen, über kurz oder lang musste man akzeptieren, dass man ihnen schutzlos ausgeliefert war. Und das Feuer, mit welchem die Römer die Welt entzündet hatten, war nicht länger durch Menschenhand zu löschen, so schien es.
So hatte Jeshua gut daran getan, Jerusalem, den Sitz der römischen Verwaltung in Judäa, zu verlassen und mit seinen Gefolgsleuten nach Galiläa zu gehen. Dieses Land unterstand den Römern nur indirekt, da hier Herodes Antipas, der Tetrarch von Galiläa und Peräa, regierte. Sicher, auch er war kaum mehr als ein Diener Roms, und doch war man auf dieser Seite der Grenze ein wenig sicherer als jenseits derselben.
Jeshuas Reise durch das Land indes schien in diesen harten Zeiten vielen Menschen ein Zeichen zu sein. Ein Zeichen für die bevorstehenden Dinge, die da kommen würden. Unter dem Joch der Römer und ihrer unfassbaren Grausamkeit und Menschenverachtung ächzten die Völker der Welt und vielen war das bevorstehende Ende der Welt weit mehr als die
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