König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
ihre einfache Welt zu beneiden. Für sie selbst war der Spaß für heute vorbei. Wenn schon jemand wie Raphael vor einem Lebewesen offenbar so großen Respekt hatte, dass er begann , wachsam zu werden, dann musste es damit eine besondere Bewandtnis haben.
Viel zu lange dauerte es, bis Bess und Michael endlich signalisierten, dass man nun gehen könne. Und so schoben die Vier sich durch die Menschenmassen, die sich wie auf ein geheimes Signal hin vor ihnen lichteten und hinter ihnen schlossen, bis sie den Ausgang des Rummelplatzes erreicht hatten. Währenddessen hatte Raphael immer wieder aufmerksam über die Schulter zurück gesehen. Nun jedoch beeilte er sich, Eleanor schnellstmöglich zum Busbahnhof zu geleiten, während Bess und Michael ihnen folgten.
Bald darauf hatten sie ihre Haltestelle erreicht, wo der Bus glücklicherweise bereits stand und in wenigen Augenblicken losfahren würde. Sie stiegen ein und gingen durch den Mittelgang ganz nach hinten durch. Dort schaffte Michael es, sich zwischen Eleanor und Raphael zu drängeln, so dass er nun endlich neben seiner Flamme sitzen konnte. Raphael nahm dies mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis, doch er fügte sich und nahm nun neben Bess Platz. Diese schenkte ihm ihr bezauberndstes Lächeln und begann sofort, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
„Sag mal, Raphael“, begann sie. „Was hältst du von deinem neuen Leben?“
Mit dieser Frage hatte Raphael nicht gerechnet. Unruhig und verwirrt starrte er Bess an. „Was meinst du damit?“, fragte er.
„Nun, du bist aus der geschlossenen Abteilung raus. Du kehrst langsam wieder in das normale Leben zurück. Das muss für dich doch eine aufregende Sache sein, oder?“
Raphael nickte zögernd, doch er wirkte zugleich bedrückt und angespannt. Bess legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihn besorgt an.
„Was hast du?“, fragte sie.
„Hast du dich schon einmal in einer Situation befunden, in der du dich in Gefahr begeben musst, um einer größeren Gefahr zu entgehen?“, erwiderte Raphael.
„Ich… ich weiß nicht, was du meinst…“, stammelte Bess verunsichert. „Was für eine Gefahr meinst du?“
Raphael schüttelte den Kopf. „Es ist nicht wichtig. Ich nehme an, mein neues Leben birgt einfach mehr Unsicherheiten als mein altes.“
Bess nickte, obgleich sie den Sinn hinter Raphaels Worten nicht erfasst haben konnte. „Du musst keine Angst vor dem Leben außerhalb von Stratton Hall haben“, sagte sie. „Du hast doch heute in Bude gesehen, dass es auch sehr schön sein kann.“
Raphael zwang sich zu einem gequälten Lächeln. Die Maske, die Menschen voreinander trugen um ihr Innerstes zu verbergen, begann schwer auf ihm zu lasten. Wie ertrug Eleanor das bloß? Wie ertrug sie es, ein Mensch zu sein?
Eleanor selbst kämpfte sich derweil durch eine Unterhaltung mit Michael. Sie hätte sich lieber mit Raphael unterhalten und nach dem Grund für seine Angespanntheit geforscht, doch das würde warten müssen, bis sie zurück in Stratton Hall waren.
„Wie hat es dir gefallen?“, fragte Michael sie gerade, als der Bus sich in Bewegung setzte.
„Es war ziemlich voll“, erwiderte sie stockend. „Solche Menschenmengen machen mich noch immer nervös.“
„Dann hast du dich doch gut geschlagen“, lachte Michael. „Allerdings fand ich es eigentlich nicht so schlimm, wie bei meinem letzten Besuch auf dem Rummel. Heute hatte ich das Gefühl, dass es leerer wurde, wo immer wir hinkamen. Ich habe unwillkürlich an mir heruntergesehen, um sicherzustellen, dass ich eine Hose anhabe. Andernfalls hätte ich gut verstanden, dass die Leute vor uns Reißaus nehmen.“
Eleanor lachte auf. „Meinst du nicht, wir hätten dir nicht was gesagt, wenn du ohne Hose herumlaufen würdest?“
„Du vielleicht“, grinste Michael verschwörerisch. „Bess sicher nicht!“
So verging die Fahrt nach Stratton für Eleanor um einiges schneller als für Raphael. Michael war ein angenehmer Gesprächspartner, der sich gut darauf verstand, Eleanor in heitere Gespräche zu verwickeln. Er schien es geradezu darauf anzulegen, sie zum Lachen zu bringen, was ihm auch oft gelang , und Eleanor begann seine Anwesenheit schließlich zu genießen.
Bess hingegen stieß bei Raphael auf eine Mauer des Schweigens. Wann immer sie ihn in ein Gespräch zu verwickeln suchte, erhielt sie einsilbige Antworten. Durch nichts drang sie wirklich zu ihm durch. Nach einiger Zeit gab sie frustriert auf.
So stiegen zwanzig Minuten später vier Menschen
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