König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
steckt“, meldete sich Elizabeth zu Wort. „Ich weiß nicht, ob es in den letzten hundert Jahren geöffnet worden ist. Wenn nicht, müsste das Lesezeichen noch immer an der Stelle mit dem Beschwörungszauber sein.“
Eleanor öffnete das Buch und blätterte zu der Stelle, an der sich das Lesebändchen befand. Die altertümlichen Buchstaben auf jener Seite waren im Laufe ungezählter Jahre stark verblasst und unterschieden sich nur noch wenig von dem vergilbten Papier, auf dem sie standen. Eleanor kniff die Augen zusammen um im Zwielicht der Bibliothek etwas entziffern zu können.
„Spruch um böse Wesen herbeizurufen“, las sie mühsam die verschnörkelte Überschrift. „Sonderlich sensationell oder unheimlich klingt das nicht gerade.“
„Dafür wirkt es, glaub mir“, erklang Elizabeths Stimme und eine deutliche Ahnung von Furcht lag in diesem Augenblick in ihr.
„Ich weiß“, erwiderte Eleanor. Dann schlug sie das kleine Büchlein zu und ließ es in ihrer Tasche verschwinden. Sie würde sich später bei Tageslicht mit dem Inhalt dieses Buches auseinandersetzen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Mit einiger Mühe wuchtete sie die Ausgabe von Don Quichote zurück ins Regal und versäumte dabei auch nicht, das Buch möglichst exakt wieder auszurichten, so dass man von ihrem nächtlichen Besuch so wenig wie möglich mitbekommen würde. Allerdings war eine Entdeckung tatsächlich eher unwahrscheinlich, denn Elizabeth dürfte mit ihrer Einschätzung sicher Recht gehabt haben, dass dieser Raum nicht allzu oft besucht wurde.
Vorsichtig schlich Eleanor zurück zur Tür, lauschte einen Augenblick am dicken Holz und öffnete die Tür dann leise, als sie sich sicher sein konnte unbemerkt geblieben zu sein.
Der Korridor vor der Bibliothek lag noch immer in völliger Dunkelheit und Stille. Nur durch das große Fenster am Ende des Ganges drang ein wenig Mondlicht herein und tauchte den Ort in ein fahles, blaues Licht.
Eleanor gab Elizabeth ein Zeichen, dass die Luft rein sei. Dabei musste sie unwillkürlich grinsen – Elizabeth würde man ganz sicher nicht entdecken, wenn ihnen eine Nachtschwester über den Weg liefe. In Eleanors Fall wäre dies unzweifelhaft anders.
Seite an Seite glitten sie durch die dunklen Gänge zurück zum Treppenhaus. Dort trennten sie sich. Elizabeth schwebte zurück zur untersten Stufe, um den Rest der Nacht in Einsamkeit und Finsternis zu verbringen. Eleanor hingegen begab sich vom zweiten Stock aus zurück zu ihrem Zimmer. Wie üblich hatte sie ein schlechtes Gewissen, ihre Freundin dort unten allein zurückzulassen, doch eine Alternative gab es nicht. Allein das Versprechen auf den nächsten Besuch ließ Elizabeth durchhalten und auf den nächsten Tag hoffen.
„Ich komme bestimmt!“, versicherte Eleanor ihr.
Elizabeths Schatten schien betrübt zu nicken.
„ Kein Wunder, dass jeder Abschied sie verzweifeln lässt“, dachte Eleanor. „Wenn meine ganze Verbindung zur Welt und zum Leben von einer einzigen Person abhinge, würde ich auch nicht anders empfinden. Ich würde mich auch an diesen Menschen klammern und immer daran zweifeln, dass ich ihn wiedersehe…“
Am folgenden Morgen klopfte es schon früh an Eleanors Tür. Sie hatte noch keine Zeit gefunden, sich fertig anzuziehen und so warf sie sich einen Morgenmantel um, bevor sie die Tür öffnete. Es war Bess, die mit einem strahlenden Lächeln auf dem Flur stand und nach einem kurzen Zögern an Eleanor vorbei ins Zimmer stürmte.
„Zieh dich an, zieh dich an“, zwitscherte sie, während sie die Gardinen aufzog und die Sonne hereinließ.
„Warum? Was ist los?“, fragte Eleanor irritiert. „Hab ich irgendwas Wichtiges verpasst?“
Bess hielt inne und wandte sich mit einem erstaunten Blick um.
„Allerdings“, stellte sie fest. „Wir müssen nach Bude. Zum Wettkampf!“
Eleanor runzelte die Stirn. „Wettkampf? Ich glaube ich schlafe noch immer und befinde mich gerade in einem ziemlich schrägen Traum. Ich weiß noch immer nicht, wovon du sprichst.“
Bess stemmte mit gespielter Entrüstung die Hände in die Hüften.
„Heute findet in Bude die Bezirksmeisterschaft im Schach statt“, sagte sie gewichtig. „Und wir werden hinfahren, weil wir einen der Teilnehmer kennen!“
„Wen?“
„Michael“, grinste Bess.
Eleanor stutzte. Dann begann sie zu verstehen.
„Hat Michael dich darum gebeten, mich dahin zu schleppen?“
Jetzt war es an Bess, zu zögern.
„Na ja. Nicht direkt“,
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