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König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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sorgten.
    „Dort können wir uns setzen“, meinte Bess gerade und zog Eleanor geschwind mit sich. Sie kamen vor einer Sitzreihe im vordersten Bereich des Saales zum Stehen und setzten sich, ehe ihnen jemand die Plätze streitig machen konnte.
    „Na bitte. Von hier aus werden wir gut sehen können“, stellte Bess fest. „Schau, dort kommen sie.“
    Eleanor folgte ihrem Blick und sah aus einer der gegenüberliegenden Türen eine Reihe junger Männer und Frauen das Spielfeld betreten. Unter ihnen erkannte sie auch Michael. Er war heute in ein sportliches, blaues Jackett gekleidet, welches das Abzeichen seines Schachclubs am Revers hatte. Die gleichfarbige Hose und seine dunkle Krawatte passten so ausgezeichnet dazu, dass Eleanor beinahe das Gefühl hatte, als habe sie ihn tatsächlich noch nie anders gesehen als in dieser Aufmachung, obwohl er in ihrem Beisein bislang doch immer wesentlich lockerer in Jeans und Lederjacke unterwegs gewesen war.
    „Der linke Hund. Das macht er mit Absicht!“, grinste Bess.
    „Was meinst du?“
    „Na, der Aufzug! Schau ihn dir doch an. Er hat sich doch deinetwegen so schick gemacht.“
    „Ich glaube nicht. Sieh doch, alle anderen sind auch mit dem Clubjackett hier.“
    „Aber er ist der einzige mit Krawatte.“
    „Hmmm“, grübelte Eleanor. „Dann muss er sich ja ziemlich sicher gewesen sein, dass du mich heute hierher kriegst. Was hat er dir geboten? Bezahlt er dir deinen Führerschein?“
    Bess verzog beschämt den Mund. „Führerschein? Schön wär‘s. Alles was ich bekomme ist seine Zusage, dass er unserer Mutter nichts von der Beule am Kotflügel unseres Familienautos sagt.“
    „Beule? Hast du etwa…?“
    „Pssst! Jetzt geht’s los!“
    Ein übergewichtiger Herr mit den Emblemen der britischen Schachvereinigung am Revers hatte das Mikrofon am zentralen Schiedsrichterstand ergriffen und begrüßte in diesem Moment die Spieler und die Gäste. Er hielt eine launige Eröffnungsrede, wünschte den Spielern viel Glück und Erfolg und trat dann vom Mikrofon zurück. Eleanor atmete innerlich auf. Sie hatte schon mit endlosen Reden und einschläferndem, öden Gefasel gerechnet. Doch die Rede war kurz und schmerzlos gewesen. Nun gab der Mann den Schiedsrichtern das Startsignal und die Spieler starteten die Stoppuhren. Das Turnier war eröffnet.
    Weder Bess noch Eleanor interessierten sich für das eigentliche Turniergeschehen. Sie blickten nur auf den Tisch, an dem Michael saß. Dessen erster Gegner war ein dicker Junge von vielleicht zwanzig Jahren, der nervös und fahrig wirkte. Immerhin erkannte er Michaels Schäfer-Eröffnung gerade noch rechtzeitig genug, um sein erstes Spiel nicht bereits nach wenigen Sekunden zu verlieren. Dennoch waren seine Verluste auf dem linken Flügel gewaltig und zudem war er demoralisiert und verunsichert. Er konnte sich noch einige Minuten halten, dann wurde er von Michael an die Wand gespielt.
    Bess und Eleanor klatschten ihm begeistert zu, während er triumphierend zu ihnen hinüber lächelte. Zweifellos war er gut gelaunt und Eleanors Anwesenheit beflügelte ihn geradezu.
    Ein weiterer Spieler setzte sich an seinen Tisch und ein zweites Spiel begann. Dieser Gegner war nicht so leicht zu nehmen wie der letzte. Es war ein bebrillter, etwas flatterhaft wirkender Jüngling von vielleicht sechzehn Jahren, picklig und pubertär. Und doch intelligent und hochkonzentriert. Die Partie begann und blieb eine ganze Weile sehr ausgeglichen. Beide verloren ein paar Figuren, aber keiner bekam den anderen in eine wirklich defensive Position gedrängt. Nach einer kurzen Phase, in der sie beide mit ein wenig Aggressivität das Spiel zu wenden versuchten, verfielen sie beide wieder in passives Spielverhalten. Sie belauerten sich und warteten jeweils auf eine Schwäche des Gegners.
    Schließlich nutzte Michael eine kurze Unaufmerksamkeit seines Gegners und provozierte einen vorschnellen und unbedachten Zug, der ihn einen Springer kostete, dafür aber seine Dame in eine Position brachte, die den gegnerischen König bedrohen konnte. Sein Gegner bemerkte den Fehler und bemühte sich eilig, noch einen Schutzwall um den König zusammenzuziehen. Doch es war schon zu spät – Michael zog seinen zweiten Turm nach und die Partie war faktisch beendet.
    Sein Gegner benötigte noch einen kurzen Moment, um mögliche Reaktionen zu prüfen, doch da war nichts mehr zu retten. Mit einem gequälten Grinsen erhob er sich und reichte Michael die Hand.
    „Das war knapp“,

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