König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
sich zögernd. Eine Weile starrten die zwei stumm auf das Kreuz am Altar.
„Die Welt ist voll von euch, richtig?“, durchbrach schließlich Michaels Stimme die Stille.
„Ja. Die Sünde ist überall.“
„Lilith hat mir erklärt, warum ihr hier seid und was ihr hier macht.“
„Hat sie dir auch erklärt, dass nicht alle von uns bösartig sind?“
Michael nickte.
„Hat sie dir als Mensch gegenüber gestanden, oder als Engel?“
Ein Lächeln glitt über Michaels Züge. „Als Engel…“
„Natürlich, sonst hättest du ihr nicht geglaubt.“
„Sie hat mich berührt“, fügte Michael hinzu. „Und sie sagte, von nun an würde ich jeden von euch als das erkennen, was er wirklich ist.“
Raphael biss die Zähne aufeinander. „Dann hat sie dir ein wenig von ihrer eigenen Energie gegeben. Nur sehr wenig – gerade eben so viel, dass du nun in unsere Welt sehen kannst. In gewissen Grenzen…“
Michael lächelte noch immer versonnen in sich hinein. Er schien in einer völlig anderen Welt zu sein.
„Das ist keine Gabe, über die du glücklich sein solltest“, riss Raphael ihn aus seinen Gedanken. „Eleanor hat diese Gabe nur Pech gebracht. Die Hälfte der Dämonen auf dieser Welt würde sie am liebsten tot sehen und auch Lilith hat dir gegenüber ihr Wissen nur deshalb preisgegeben, um Eleanor damit zu schaden!“
Michael erstarrte. „Wie das?“
„Sie hat ganz genau gewusst, dass du mit deinem neuen Wissen schnurstracks zu uns laufen würdest, um Unfrieden zu stiften. Jeder hätte das an deiner Stelle getan. Und Liliths Plan ist aufgegangen. Eleanor verkriecht sich nun in ihrem Zimmer und will mit uns beiden vorerst nichts mehr zu tun haben. Und zugleich hat Lilith mich mit dieser Aktion an etwas erinnert, das ich am liebsten vergessen würde.“
„An was?“, fragte Michael bestürzt.
„Daran, dass sie mich unter Druck setzt und eine Entscheidung von mir erwartet. Eine schmerzhafte Entscheidung, bei der ich nur verlieren kann.“
Michael nickte, obwohl er nichts von dem verstand, was Raphael sagte. „Sie ist böse, stimmt’s?“, hakte er nach.
„Ich weiß es nicht“, seufzte Raphael. „Ich weiß es einfach nicht. Früher habe ich es geglaubt, aber jetzt bin ich mir nicht länger sicher. In manchem ist sie Eleanor ähnlicher, als ich bislang wahrhaben wollte. Auch sie will etwas, was sie viel zu lange entbehren musste. Aber im Gegensatz zu Eleanor wartet Lilith seit Jahrtausenden darauf, es endlich zu bekommen. Und anders als Eleanor stand ihr ein Selbstmord als Ausweg niemals offen.“
„Du meinst, ihre Boshaftigkeit ist eigentlich Enttäuschung?“
„Es scheint so. Ich habe sie auch Gutes tun sehen. Aber stets zu Menschen, von denen sie ohnehin nichts zu erwarten hatte. Sie kann sehr selbstlos sein. Bei den Richtigen…“
„Du sagst, Eleanor hat die Gabe Engel zu erkennen, nur Pech gebracht“, hakte Michael nach. Raphael sah ihn an und nickte.
„Sie wäre mehrfach fast getötet worden“, erwiderte er betreten. „Du tätest gut daran, niemanden von deiner Gabe wissen zu lassen. Die Menschen da draußen würden dir ohnehin nicht glauben. Und meinesgleichen könnte deine Gabe als Bedrohung empfinden, also gehe gut mit deinem Wissen um.“
„Ich verstehe“, entgegnete Michael nach einem kurzen Augenblick der Stille wie zu sich selbst. „Aber in einem muss ich dir widersprechen, Raphael.“
Raphael zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Die Gabe Engel zu erkennen hat Eleanor nicht nur Pech gebracht. Immerhin war es diese Gabe, die sie zu dir geführt.“
Mit diesen Worten erhob er sich und verließ die Kapelle.
Tief in düsteren Gedanken versunken ging Michael durch den Park. Er traf keine Seele auf seinem Weg zum Tor, doch er hätte wohl auch niemanden bemerkt. Zu sehr war sein Geist von dem gefangen, was er in der letzten Stunde hier erlebt hatte – eine Welt der Engel und Dämonen neben der seinen. Eine Welt hinter der Realität, unsichtbar für die Menschen und dennoch so bedrohlich und gefährlich, dass im Laufe der Jahrtausende sicher Millionen von Menschen durch sie ins Verderben gerissen worden waren. Unfassbar, dass niemand davon wusste. Niemand außer ihm selbst und Eleanor. Mein Gott – Eleanor. Wie gern hätte er seinen Fehler wieder gutgemacht und die Zeit um eine Stunde zurückgedreht. Es mochte gut sein, dass er heute endgültig die Tür vor ihr zugeschlagen hatte und sie von nun an wirklich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Er könnte es ihr
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