König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
noch, dass Raphael mit unfairen Mitteln gespielt hatte. Dabei lag es weder an Raphael noch an Michael selbst. Wären Michael und sie sich vor zwei Monaten über den Weg gelaufen, wäre alles anders gekommen. Es war alles nur eine Frage der Zeit gewesen und Raphael war ihr nun einmal früher begegnet.
Eleanor atmete tief durch. Michael mochte sich wie ein Volltrottel verhalten haben, doch sie wollte ehrlich sein. Sie mochte ihn – sicher sogar mehr als das. Wären sie sich früher begegnet, wäre sie nicht nach Stratton Hall gekommen. Sie hätte Raphael nicht kennengelernt und dennoch wäre sie wohl der glücklichste Mensch der Welt gewesen, denn sie zweifelte nicht daran, dass Michael genau das war, was sie sich immer gewünscht und nie bekommen hatte.
In den vergangenen Wochen hatte Eleanor mehr als einmal an ihre letzte Klasse denken müssen. Einige ihrer Mitschülerinnen hatten sich einen Spaß daraus gemacht, sie zu quälen, zu hänseln und aufzuziehen. Sie hatten sie vor allem damit zu verletzen versucht, dass sie sich über sie und Calvin lustig gemacht hatten. Es hatte an der Schule als offenes Geheimnis gegolten, dass Eleanor in Calvin Burke verliebt gewesen war. Doch Calvin hatte sie nicht einmal wahrgenommen, hatte bestenfalls darüber gelächelt, wenn er von den Hänseleien Wind bekam. Für ihn war es undenkbar gewesen, sich mit einem Mauerblümchen wie Eleanor Storm es war einzulassen. Lächerlich, aberwitzig. Und was an dieser Geschichte dran war, wussten ohnehin nur die wenigsten. Sie galt allgemein an der Schule für wahr und allein das zählte. Außer Eleanor wusste niemand, dass sie vollkommen richtig war – bis aufs allerletzte Wort. Sie hätte damals alles getan, um Calvins Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sie war sich vollkommen sicher gewesen, dass auch er sich zu ihr hingezogen fühlen würde, wenn er sie nur wirklich kennen würde. Doch schon dazu würde es nie kommen. An dem Tag, als Eleanor das endlich erkannte, schlitzte sie sich die Pulsadern auf.
Aber nun gab es gleich zwei Männer, die um sie kämpften. Und beide waren freundlich, fürsorglich und wunderschön. Beide gaben ihr das Gefühl, der Mittelpunkt ihres Universums zu sein. Verglichen mit Michael war Calvin oberflächlich, arrogant und eitel. Absolut kein Vergleich.
Und Raphael? Nun, er war eben Raphael – vollkommen perfekt. Er war schon äußerlich so makellos, wie ein Mensch es eigentlich niemals sein dürfte. Zudem war er bereit gewesen, sein Leben und seine Seele für sie aufs Spiel zu setzen. Er lebte in der Hölle, obwohl der den Himmel hätte haben können – und das allein für sie, für Eleanor. Welcher Junge würde so etwas tun? Mit Raphael konnte kein Mensch mithalten.
Und doch schob sich Michaels Bild erneut vor ihr geistiges Auge. Michael, der wunderbare Michael, der sich so sehr um sie bemühte und dennoch keinen Erfolg hatte. So wie er hatte Eleanor sich selbst vor kurzem noch gefühlt. Zu kämpfen, obwohl man weiß, dass man chancenlos ist, mag in den Augen des einen heroisch sein, in den Augen des anderen ist es lächerlich.
Ein Teil von ihr wünschte sich wirklich und aufrichtig, mit Michael zusammen sein zu können. Mit Michael, der so wunderbar normal war. In der Welt der Menschen absolut überdurchschnittlich und dennoch einfach nur ein Mensch. Aber Raphael würde schon allein deshalb immer ein Teil ihres Lebens sein, weil sie Engel und Geister wahrnehmen konnte.
Eleanor stutzte. Wie würde sich die Situation verändern, nun da auch Michael über diese Fähigkeit verfügte? Tatsächlich hatte sich ja schon alles geändert, seitdem er Lilith kennengelernt hatte und um Raphaels wahre Natur wusste. Die Probleme, die das mit sich bringen mochte, waren völlig unabsehbar. Ein unangenehmer Gedanke. Eleanor fröstelte.
Sie wünschte sich Raphael herbei, dessen innere Energie sie so oft gewärmt und die Angst aus ihr vertrieben hatte. Er würde dieses unangenehme Gefühl von Furcht und Ohnmacht von ihr fortnehmen, allein durch seine Berührung, dessen war sie sich sicher.
Bei diesem Gedanken durchfuhr ein eiskalter Stoß ihrer Brust. Mein Gott, Raphael. Was tat er nicht alles für sie? Er hatte auf den Himmel verzichtet, lebte seitdem in der Hölle. Er war immer für sie da, beschützte sie vor bösen Mächten und gab ihr stets Kraft, wo sie selbst keine hatte.
Und sie? Was tat sie für ihn? Sie konnte ihm keinen Halt geben, keinen Trost. Sie beschützte ihn nicht, war ihm kein gleichwertiger
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