König der Vampire - Nikolay, S: König der Vampire
gehorchten besser, sie fühlte sich gelenkiger. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass sie auch geschmeidiger war.
Sie stand gerade mit einem Fuß hoch über den Kopf gestreckt da, als die Tür aufging und die drei Vampire hereinkamen.
„Aua!“, kommentierte Kai.
Paulina lachte. „Das tut nicht weh! Ich mache das schon lange.“
Dann das andere Bein. Hochheben, anwinkeln, Fuß greifen, hochstrecken.
Kai verzog das Gesicht.
„Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie gelenkig ein Körper sein kann“, meinte er kopfschüttelnd.
Sie störte sich nicht weiter an seinen Kommentaren, die er die ganze Zeit von sich gab. Für Paulina gab es nur noch die Musik, den Saal und sich selbst. Alles andere verschwand aus ihren Sinnen, wie immer.
Das nächste Musikstück begann, und sie stellte sich in Position. Dann fegte sie mit Anmut und Präzision über das Parkett.
Kai stellte seine Kommentare ein, staunend sah er ihr zu. Perfekt. Besser traf er es nicht.
Etienne sagte gar nichts, er sah einfach nur zu. Auf seinem Gesicht war keine Gefühlsregung zu erkennen. Auch wenn Paulina sich geschmeidig bewegte, sah er doch deutlich die Muskelspannung ihres Körpers. Das musste wahnsinnig anstrengend sein. Trotzdem hatte sie ein Lächeln auf dem Gesicht. Das antrainierte Gesicht einer Ballerina.
Sie nahm erneut Schwung für eine Pirouette, begann sich zu drehen. Dann rutschte ihre Schuhspitze weg und sie knallte hin.
Etienne wollte schon zu ihr gehen, da stand sie auf und fluchte über sich selbst. Das Ganze begann von vorne. Anlauf, Schwung, drehen. Immer schneller, die Arme am Körper anliegend, dann langsam, die Arme von sich gestreckt.
Sie nutzte die Zeit voll aus, übte und stürzte immer wieder. Und jedes Mal stand sie auf und fluchte, sauer über sich selbst. Etienne verstand nun annähernd, was sie gemeint hatte. Ohne Fleiß kein Preis.
Paulina wirbelte umher, ihre Füße schmerzten erstaunlicherweise gar nicht. Und das, obwohl sie auf den reinen Zehenspitzen stand, ohne Hölzchen im Schuh. Das hatte sie vor zwei Jahren angefangen und mehr als einen Nagel dabei eingebüßt. Aber jetzt, nichts.
Der Rest ihres Körpers machte sich schon bemerkbar. Die Muskeln zitterten ob der Anstrengung, ihre Ellbogen und Knie schmerzten. Aber auch das war lange nicht so stark, wie sie es kannte. Sie fühlte sich, als wäre sie des Dopings schuldig. Vermutlich hätte sie noch ein paar Stunden so weiter machen können, aber Etienne rief ihr zu, dass die Zeit beinahe um war.
Also dehnte sie sich noch einmal zum Abschluss, was sie normalerweise entspannte. Jetzt machte es sie nervös. Der Schmerz und die damit verbundene Hormonausschüttung samt Glücksgefühl war viel zu schwach.
Missmutig stapfte sie zur Umkleide und nahm ihre Tasche. Ungeduldig warf sei die Ballettschuhe hinein und schlüpfte in ihre Halbschuhe. Ihre Füße fühlten sich völlig normal an!
Schlecht gelaunt verließ sie die Ballettschule und wartete vor dem Auto auf Etienne. Umziehen konnte sie sich auch im Haus.
War das jetzt ihr zu Hause? Wahrscheinlich.
Nach über fünf Minuten kamen die drei Vampire dann endlich. Kai und Cosimo winkten fröhlich.
„Bis gleich“, sagte Kai zu ihr.
Sie nickte nur.
Etienne betrachtete Paulina. Also dafür, dass sie Ballett so sehr liebte, hatte sie aber sehr schlechte Laune. War sie nicht zufrieden mit sich? Er fand, sie hatte wundervoll getanzt, trotz der Patzer zwischendurch.
Er entriegelte den Wagen und Paulina riss die Tür auf. Sie ließ sich auf den Sitz plumpsen und knallte die Tasche auf den Boden.
Na das kann ja heiter werden! , dachte er und stieg selbst ein.
Paulina lehnte sich am Sitz an und schloss die Augen. Solange sie denken konnte, hatte das Tanzen sie glücklich gemacht. Jetzt fühlte sie sich hohl. Der gewohnte Rausch nach dem Training stellte sich nicht ein. Auch keine Erschöpfung. Es kam ihr vor, als hätte sie gerade einen langweiligen Film gesehen. Stattdessen hatte sie drei Stunden lang ihren Körper gequält und war über das Parkett gefegt.
Anscheinend hatte das Vampirdasein auch Nachteile. Jedenfalls empfand sie es so. Ihrer persönlichen Droge beraubt, fühlte sie sich beinahe betrogen.
„Erzählst du mir, was los ist?“, fragte Etienne leise.
„Würdest du es verstehen? Ich glaube nicht.“
„Bitte. Ich dachte, du wärst glücklich darüber, tanzen zu können. Was hat dir die Laune verdorben?“
„Ich tanze auch gerne, das ist es nicht. Es ist, weil der Schmerz nicht
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