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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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den Plakaten an den Wänden des Instituts für Gedankenkunde und Verstehen überkommt Sie der bekannte Zustand von Zweifel und Ohnmacht. Was bedeutet es, fragen Sie schon wieder, was bedeutet es, dass ausgerechnet die Fotografie auf Frau Professor Steins Bürotür Geleise zeigt, lauter sich verzweigende, sehr alte Zuggeleise, und darunter der schöne Satz steht, dass Worte Verbindungen seien von einem zum andern? Worte lägen immer dazwischen ? Schön, sehr schön ist solches Wissen, und am schönsten, dass das Institut für Gedankenkunde und Verstehen noch so sehr mit der einfachen Weisheit im Bunde ist. Im Bunde! Wie Sie da schon wieder erschrecken, wenn Sie vernehmen, dass hier einer mit dem andern im Bunde ist. Gleich reißen Sie das Fenster auf und rufen Jakob oder Agnes oder einen Gott an und bitten um den Schlüssel, mit dem Sie den Kostümschrank aufsperren, in dem das Mundschenkkleid versteckt ist, denn Sie wollen am liebsten sofort auf und davon und von Gedeck zu Gedeck hüpfen und reinen, reinen Wein einschenken. Schluss, Reisender, sagen Sie? Woher ich, ein Fremder aus der Zukunft, mir das Recht nehme, Sie zu verstehen? Lina Lorbeer, fragen Sie nicht so viel, schließen Sie wenigstens einen Fensterteil, gehen Sie zum Schreibtisch und legen Sie den Kopf in die offenen Hände. Die Lampe ist noch da, und der zarte Ton strahlt von der Wand auf Sie. Glauben Sie mir, glauben Sie mir. – Glaub ich’s? Und dass man mich irgendwo erwartet hat? Aufgenommen zu sein und erwartet worden zu sein sind zweierlei paar Schuhe, und zwar immer. Oder, Jakob?
    Lieber Jakob, der Reisende war zu Besuch bei mir und glaubte mir verständlich machen zu müssen, wie groß meine Angst vor den Bünden, den »Bündnissen« sei: Lina Lorbeer will lieber immer Mundschenk bleiben, als mit Frau Professor Stein in einem Bunde und Boote sitzen! Warum aber begehrte sie dann, hier aufgenommen zu werden und ihren Verstand und ihr Gehör aufklären und verfeinern zu lassen, wenn sie die geheimste und wichtigste Grundregel des hiesigen Bündnisses nicht anerkenne? Wolle sie etwa frei wie ein Vogel sein und von fernen Ästen hinunter singen, zu den Fenstern hinein? Ach Jakob! Ein Vogel sein, womöglich eine Taube, die mit ihrem Schnabel ans Fenster klopft, war das mein Wunsch? Ich kenne meine Wünsche nicht mehr! In einem einzigen war ich immer ganz sicher, aber ich kann ihn nicht verraten, nicht einmal Dir, denn ich fürchte so sehr, dass er dann auch verloren geht, wie so vieles hier. Und Du? Ich sehe Dich schon wieder in der Küche sitzen, neben dem Kühlschrank, ein Bein überm andern. Eine Hand liegt auf der Seite eines Buchs und die andere hält die Brille, die Du nie aufsetzen magst: Ich will nicht alles noch besser sehen, mir reicht das so. Und zum Fenster herein schaut die Nacht und fragt Dich, ob Du nicht lieber, ob Du nicht lieber –? Im übrigen widerstehe ich hier wacker der Gefahr, zu einem dummen Prinzen zu werden, der noch einmal betrogen wird. Meine Illusionen werden blasser und irgendwann ganz zerfallen. Was dann aus mir wird? Sei geherzt von Lina, die jetzt aufsteht, und, wie könnte es anders sein, zum Fenster geht und, wie könnte es anders sein, den Mond sucht, der, wie könnte es anders sein, hinter großen, stolzen Bäumen in die Schlucht gefallen ist. Immer schon , versteht sich!

VI.
    Im Hörsaal herrscht Schweigen, unruhiges, verängstigtes Nichtssagen. Keiner weiß eine Antwort auf Professor Steins Frage, wie man einen Gedanken dazu bringe, eine Komplizenschaft mit der Wirklichkeit einzugehen, und wie man die Wirklichkeit dazu veranlasse, zu verschwinden wie ein flüchtiger Gedanke? Unser aller Stummheit hat beinahe die Kraft, eine Fensterscheibe zu zerbersten. Ich bringe, in dieser Spannung und so ahnungslos, kein Wort heraus, und kritzle, ganz in mich gefallen, ein paar Fragen in mein Notizbuch: Sind meine Gedanken, wie bei Justin, Fliegen, und ist die Wirklichkeit das Papier, das sie anlockt und zwingt, sitzen zu bleiben, für immer und immer? Ist Sterben so? Ist die Wirklichkeit der Sessel, der unverrückbar bleibt, wenn Frau Professor Stein sich auf ihn setzt? Und Babel auf ihrem Schreibtisch? Ist das Institut für Gedankenkunde und Verstehen so wirklich wie mein Zimmer, in dem ich von einer zur andern Ecke gehe und den Brief aus dem Karton nehme, bevor ich das Fenster öffne und ihn der Luft vorlese, der klaren Luft, die ihn mir zugetragen hat? Muss ich hier wirklich lernen, als zum Denken und Deuten

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