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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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vertraut machen, den sieben Menschen, die in der zweiten und vierten Reihe leise und friedlich schnarchen, um sich für den Wein zu stärken, der später zur Feier des Buchs gereicht wird. Wie eine heilige Messe wird das Buch zelebriert, so ehrfürchtig, dass ich mir, wenn ich der Dichter wäre, nicht einmal ein Taschentuch aus dem Mantel zu fischen und meine Nase zu putzen getraute, geschweige denn Schnupfen zu haben. Liegt jetzt jemandem eine dringende Frage unter den Lippen? Niemandem außer dem Moderator: Was ich mir im alltäglichen Leben so wünsche, ich, der Hofnarr und Dichter? Ob ich denn etwa von meinen Träumen leben könne? Ob ich von den Menschen enttäuscht sei? Aber es ist doch heutzutage nichts leichter als sich zum Zwecke der Freundschaft ein wenig mit ihnen zu vernetzen, mit den vielen andern Dichtern und Moderatoren! Man muss doch wirklich nicht mehr einsam sein. Pssst! Was sagt der Moderator da? Will er etwa mein Freund sein? Ich möchte lieber nicht. Ich sehe mich nämlich sogleich auf hundert Festen in der Ecke sitzen und mich fragen, wie ich dem fröhlichen, nicht ganz unbeschwerten Tratschen und Treiben ringsum so freundlich und unauffällig wie möglich entschlüpfen kann. Aber, kaum dass ich zur Tür gehe, ruft’s LINA LORBEER, und ein Dichterkollege sperrt mir den Weg ab. Nicht so schüchtern, Lina Lorbeer! Freilich, ich habe Verständnis, großes, sehr großes Verständnis. Wir Dichter sind nun einmal so: schweigsam, nach innen gewandt, scheu vor den Augen der andern. Und empfindsam, sehr empfindsam. Die Bilder, nicht wahr, die Bilder fallen über uns her und höhlen uns aus und lassen uns keine Ruhe. Schreiben müssen wir, Tag und Nacht. Ja, wie sollte man denn nicht ein schwieriger, ganz, ganz schwieriger Mensch werden, wenn man schon im zartesten Kindesalter lieber mit Gedanken umgeht, anstatt draußen im Freien auf der Schaukel zu sitzen oder auf Bäume zu klettern? Aber wie ich mich freue, Sie zu sehen (unter uns gesagt: außer mir wenigstens einen intelligenten Menschen hier zu finden, nämlich Sie, Lina Lorbeer). Und schreiben Sie denn an einem neuen Buch? Erzählen Sie doch ein wenig! Wie viele Seiten wird es denn haben? (…) O, macht doch nichts! Es tut doch nichts zur Sache, dass mein Buch etwa dreihundert Seiten mehr zu bieten hat und Ihres vermutlich von den vorderen Plätzen der Listen der Besten verdrängt. Auf die Seitenzahlen kommt’s ja nicht an. Und diese Listen sind derart unerheblich und lächerlich! Darum feiern Sie doch noch ein wenig mit uns Dichtern und den Moderatoren (und Lina, seien Sie vernünftig, Sie wissen doch, dass es hinsichtlich der Listen auf sie ankommt). – Jakob, Jakob, hörst Du mich! Mich schwindelt, ich muss hier hinaus, hinaus aus dem Traum, dem Hörsaal, weg aus meiner Zukunft, fort von der lustigen Party, auf der sich alle Dichter und Moderatoren der Stadt in Freundschaft zusammenfinden.
    Lieber Jakob, mir dreht sich hier ständig der Kopf, täglich verstehe ich weniger. Sag mir, hast Du mich jemals als schwierigen Menschen empfunden? Als einen Menschen, der vor lauter Gedanken im Kopf und Bildern um ihn herum glaubt, er sei zu zart, um auf Partys Freundschaften mit Menschen zu schließen? Kaum fange ich an, mein Zimmer, die tiefe Ruhe meines Zimmers zu vernachlässigen, schlittere ich hier von einem Albtraum in den nächsten. Aber die Albträume sind nicht wie früher, weder steigen sagenhafte, zwitterartige Tiere aus dem Meer und kommen mir zu nah noch fallen nachts Bomben auf mein Haus. Ich rutsche auch nicht auf Treppen der Länge nach aus oder werde von jemandem, kaum dass er mich liebte, nicht wieder erkannt. Es zwingt mich auch nichts und niemand, unendlich hohe Leitern empor zu klettern, die sich im kältesten Sturm hin und her biegen. Stattdessen bin ich einfach nur zu Gast auf einer Party, wo alle miteinander befreundet sind, weil ihre Namen auf »den Listen der Besten«, die »ganz unerheblich und lächerlich« sind, prangen. Ich wollte, weil ich mich nicht wohl fühlte, hinaus aus dem Zimmer, aber jemand hat mich bei meinem Namen gerufen und mir erklärt, dass er großes Verständnis für meine Schüchternheit habe, wir Dichter seien nun einmal schwierige Menschen , schwieriger als der Rest der Welt. Wegen der großen Empfindsamkeit wahrscheinlich. Und weil »wir« nicht so gerne auf den Schaukeln gesessen und auf Bäume geklettert wären. Hätte ich frei heraus sagen sollen, dass ich beinah nichts lieber tat, als auf Bäume zu

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