König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
unnachgiebig, so mutig erforscht haben, wer immer hier da gewesen ist – nun muss er wohl bald fort und war da gewesen!« Und noch einmal klatscht sie Beifall, und Flora spielt an ihrem Knoten im Nacken herum, öffnet ihr Haar und lässt es sich vors Gesicht fallen. Sie ist bleich geworden, und so traurig und abwesend will sie mir plötzlich erscheinen, dass ich die Hände vors Gesicht legen muss, bis es Nacht wird, tiefe Nacht, und ich mir nichts Unbedeutenderes und Lächerlicheres mehr wünsche, als eine brennende Kerze auf den Tisch zu stellen.
Agnes? Ob ich ihr da, im Bild, noch einmal wieder begegnen werde? Ob sie wieder kommen wird, nachdem Flora im Hörsaal verkündet hat, hier, im Bild, seien weder andere noch Freunde zu erkennen? Nichts als Finsternis ringsum eine einsame Person! Was da noch sagen. Ich werde meine Schwester anrufen und sie fragen, ob das traurige Gedicht es immer noch schaffe, sie froh zu stimmen, wie früher? Eine Tür zu öffnen oder die Treppe hinunter zu laufen und vorm Spiegel überm Waschbecken nur einen ganz kurzen Augenblick erstaunt, wer weiß, vielleicht glücklich darüber zu sein, dass man auch da ist, in der Welt. Und sogar mit den Dingen sprechen kann! Und die Füße unter den Röcken und Hosen hervor schieben und sacht, sacht auf den Boden stampfen und bemerken, wie jemand aufhört zu tun, was er grade tut, und aufschaut, zum Fenster hinaus. Und wer kommt hier des Wegs? Wer taucht da auf aus der Dunkelheit und besprengt die geschlossenen Tulpen mit Wasser? Herr Professor Icks. »Lina Lorbeer, lassen Sie den Kopf nicht hängen. Hören Sie nicht auf, den Steinen ein paar Worte zuzuflüstern, aber hören Sie auf zu glauben, die Steine hätten schon darauf gewartet. Denn selbst, wenn sie schon gewartet hätten, würden sie sich jetzt um nichts in der Welt erweichen lassen. Da wandelt sie lieber Zorn, viel Zorn an, als dass sie derart einem Wunsch folgten, der ihnen leider nur noch ein Grinsen entlockt. Denen ist alle Scham abhanden gekommen. Seien Sie langsam, geduldig, und gehen Sie in den Wald und wechseln Sie ein paar Worte mit den Figuren aus den Büchern, die dort Ihrer schon harren. Ja, Ihrer schon harren ! Und vergessen Sie nicht, dass sie, je mehr sie das Leben zerworfen hat, je öfter sie den brüllenden Löwen spielen mussten, desto freudiger sein werden, wenn irgendjemand ihnen zart gestimmt bleibt. Halten Sie sich an die einzige Hoffnung, die noch mehr als alle andern Lügen gestraft worden ist: Dass niemand Sie je aus Ihrem Zimmer vertreiben können wird, ganz.« Ich nehme ein Blatt vom Stapel der weißen Blätter und schreibe darauf: Danke, Herr Professor Icks! Einmal werde ich vielleicht mehr schreiben, vielleicht später, wenn meine Lehrzeit am Institut für Gedankenkunde und Verstehen zu Ende gegangen ist und mir Frau Professor Stein nicht mehr übel nimmt, dass ich mit den Bündnissen kein Bündnis eingehe und es vorziehe, mich lieber zu bewegen, als in einem andern Blick zu erstarren. Dann werde ich Professor Icks einen langen, langen Brief geschrieben haben, ein Buch, und auf den Podien das Fenster öffnen, und heimlich, auf keiner Party, den Moderator bitten, ein Narr zu werden, der noch weiser als der König ist und darum zur Einführung kaum noch etwas sagt. Ja, er zieht lieber eine kleine Spur, zum Zeichen dafür, dass er da gewesen ist! Das wird so schön, ich weiß es. Ich werde dann Flora an der Hand nehmen und die Treppe hinunterlaufen und mit ihr auf der Rampe auf den Händen, auf dem Kopf gehen. Ja. Ist’s nicht, wie ich hier in einem der Bücher der wunderbaren Bibliothek gelesen habe, zuweilen schlichtweg notwendig, den Himmel als Abgrund unter sich zu haben? Und aufzuhören, immer aufzuhören, daran zu zweifeln.
Ich schiebe meine Finger auseinander und sehe nur ein paar Worte des Gedichts hell und klar schimmern, wahrscheinlich die Sehnsucht, die noch seufzt, wie immer. Sie kommt wie Professor Icks über mich, groß, traurig und abwesend. Vielleicht muss das hier so sein, dass sie, die Wirklichkeit, in mindestens zweierlei Gestalt daher trottet, als ein fremdes, übertragenes Wort in meinem Zimmer und ein Ding oder ein Mensch, in dem es auf seine Wahrheit beharrt, mit seinem Anspruch verwirrt und in die Irre gehen lässt. Die Wirklichkeit kann sich das zerbrechlich auf den Hüllen ringsum das Gedicht auf dem feinen Ton nicht zu Herzen nehmen, sie muss prüfen, ob auch der zerbrechlichste Ton standhält und ein Echo hervorzurufen vermag, und
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