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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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Vorstellung von sich, erinnert mich die Weise, in der er zu mir spricht an die Sprache des andern, und manchmal heben die Worte ganz sanft und bestimmt mein Gesicht oder streichen mir das Haar aus der Stirn. Aber im Hörsaal klopft Professor Icks jetzt mit seinem Stift auf das Pult und lacht uns aus, weil wir alle so verkrampft die Feder in den Fingern halten. »Wie die Kinder in der ersten Volksschulklasse, und dabei geht’s doch um nichts, nichts Lächerlicheres als eine Prüfung. Haben Sie denn keine Ahnung davon, was Studierende anderer Fächer zu lernen haben? Wirklicher Fächer, nicht nur Gedanken lesen und Verstehen , sondern Fächer, mit denen auch auf ein richtiges und regelmäßiges Gehalt zählen kann, wer nicht Professor am Institut für Gedankenkunde und Verstehen wird. Und Professor-Werden, das schminken Sie sich besser ab! Dafür braucht’s auch noch anderes als gute Noten und einen klugen Kopf. Und Sie glauben doch alle, einen klugen Kopf zu haben? Alle, die Sie da sitzen, glauben Sie, dass Ihnen die Welt gehört und ein Sesselchen zusteht, auf dem Sie Gedanken ausbrüten können, die aber schon längst ausgebrütet und flügge geworden sind. Sie wollen es immer noch nicht wahrhaben, dass das Beste schon gesagt ist? Bitte, dann schauen Sie doch zur Abwechslung einmal in der Bibliothek vorbei, streifen Sie die Regale entlang und fischen Sie ein Buch heraus. Lesen Sie doch wenigstens einmal etwas aus den vorigen Jahrhunderten, etwas Ernstes, etwas, das an den Kern der Dinge rührt und nicht an der Oberfläche schon scheitert. Es rutschen doch heute alle Dichter an ihrer eigenen Glätte aus. Wo bleibt denn der Widerspruch? Das Böse? Ist’s vielleicht verschwunden aus der Welt? Jetzt schauen Sie (Professor Icks blickt auf mich) nicht gleich wieder so elend. Geht etwa die Welt deswegen unter? So spielen die Geschicke eben, und das muss wohl so sein.« Auf der Tafel steht in großen Lettern die Prüfungsfrage, eine Art Anfang, den wir zu Ende schreiben müssen:
     
    Gesetzt den Fall, es käme noch an auf mich und Begegnungen wären noch bedeutsam: Welche Figur sollte mich mir nehmen?
    Wir haben zwei Tage Zeit, diese Frage angemessen zu beantworten und können uns, für den Fall, dass wir müde werden, in einer Ecke des Zimmers mit Kaffee und belegten Broten stärken. Und in der Nacht dürfen wir unsern Kopf auf unsere am Tisch liegenden Arme legen und einschlafen. Ob Professor Icks uns eine Decke über die Schultern legt, wenn er sieht, dass wir vor Kälte zittern? Er muss ja hier bleiben, um zu überprüfen, ob auch niemand vom andern abschreibt. Ich sitze und schaue zum Fenster hinaus, woran sich, was ich mit einiger Deutlichkeit zu ahnen glaube, so schnell nichts ändern wird. Irgendwann werde ich einen Satz schreiben, und auf diesen Satz wird ein anderer folgen und auf diesen ein nächster, und so wird es fort gehen, zuerst langsam, ganz langsam, und dann immer schneller, wie unter Diktat. Zwischendurch werde ich mein Ohr dem Reisenden vor der Linde entgegenhalten und die Augen schließen und ein wenig vor Glück über solchen Atemhauch und solche Berührung vergehen. Und angekommen in meinem letzten Satz, werde ich das Kinn leicht, ganz leicht heben, und mir das Haar aus der Stirn streichen und dem versammelten Hofstaat von meiner Figur erzählen, meiner allerliebsten Figur, die in einem jener Bücher in meinem Zimmer lebt, von denen ich mich nie, niemals werde trennen wollen.
    Meine Figur hat einen Allerweltsnamen, der so unwichtig ist, dass es nicht lohnt, ihn preiszugeben. Nur wenn sie, was sich nicht vermeiden lassen wird, einen Lebenslauf in die Welt hinaus schicken muss, verwendet sie ihn, und zwar, weil wir Menschen von Gesetzes wegen zu solcher Unterzeichnung verpflichtet und gezwungen sind, und gegen derart allgemeine Gesetze bleibt meine Figur ohnmächtig. Aber was unterschreibt sie da, bei vollem Bewusstsein? Töne, in denen so viele Stimmen schwingen, die gar nicht ihre eigenen sind, und Jahre, in denen fremde Ansprüche sie partout nicht tilgen konnten. Meine Figur treibt sich gerne auf Straßen und Wegen herum, nur um zu hören, wie das Leben klinge, das viele »Geschiebe und Gedränge, Gestampfe, Gesurr und Gesumme«. Und siehe da, sie meint, es klinge wie ein Märchen, wie ein Märchen, das andern auch schon erzählt worden sei und einen ganz von alleine mitnehme und nicht erkläre, was es von einem wolle und mit einem im Schilde führe. Plötzlich stehe ich im Wald, wo so viele

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