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König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)

Titel: König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Winkler
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zwar hier bei mir. Wahrscheinlich gehe ich da zu weit und täusche mich, aber wenn ich nicht fähig wäre, mich zu täuschen, wäre es vielleicht besser, ich folgte Frau Professor Steins Rat, nämlich das Haus jetzt gleich zu verlassen und mich nicht einmal mehr umzudrehen, denn das könnte Schlimmes bringen. Fallen könnte ich, in unendliche Tiefen, und nicht mehr aufwachen. Und dabei möchte ich doch schlafen, jetzt. Die Kerze, die Flora und Justin mir womöglich mit dem strengen Hinweis auspusten würden, dass brennende Kerzen auf Tischen einer alten Wirklichkeit angehörten, die hier und jetzt nur noch Abklatsch sei, ist fast ganz herunter gebrannt, und das darf nicht sein, ehe ich an Jakob, meinen alten Freund Jakob, geschrieben habe.
    Lieber Jakob, ich bin schon sehr müde, mir fallen die Augen fast zu, was wahrscheinlich von der Dunkelheit herrührt. Ich wollte die Lampe nicht aufdrehen, heute lieber nicht. Was machst Du gerade? Sitzt Du in der Küche? Bei offenem Fenster? Mich friert schon den ganzen Tag, und keine Decken helfen. Hab Du es wärmer jetzt! Ich bilde mir ein, dass meine Briefe an Dich die grausamen Träume milder stimmen und das kleine Kaminfeuer auf der schlechten Kopie dann eher die Lampe lodern macht. Nicht wahr, es kann nicht sein, dass sich selbst genommen wird, wer das nicht will? Dann will ich das also? Will ich es? Aber was für ein Wille ist das? – Flora hat am Podium über die Kopie gesprochen, die ich an meiner Wand angebracht hatte, meiner Zimmerwand. Sie meinte, dass das Ich, das darin »mit der Handschrift eines Erwachsenen, nicht eines Kindes« eine Spur hinterlassen hatte (nichts als den Satz »ich bin da gewesen«), »auswiche« und »spiele«, und offenbar »die andern, die auserwählten Freunde«, nicht einlasse und einweihe. Nichts als Dunkelheit, Langeweile und Einsamkeit um die Frau herum. Selbst, wenn sie gar nicht wirklich mich und mein Ich gemeint haben kann (das kann sie doch nicht, oder?), so hatte sie doch das Bild nirgendwo anders als in meinem Zimmer gesehen, in meinem Zimmer. Ich hatte doch einmal den Satz in die Kopie geschrieben, und sie, Flora, saß neben dem Bild, stundenlang, eine halbe Nacht. Und dann solche Worte! Solche Worte. Und Professor Stein wies uns in ihrem Beifall nachdrücklich darauf hin, dass Flora nun vorgeführt habe, wie man »den Stier bei den Hörnern« packe. Indem man einen beinahe nichtssagenden Satz auf der Kopie eines Gemäldes aus einem fremdem Zimmer, in dem man zu Gast war, zum Thema eines Vortrags macht und dabei über ein anderes Ich spricht, ein wirkliches, über jemanden, die jetzt im Hörsaal sitzt und davon laufen mag, auf und davon? Jaja, jetzt ist es »bei den Hörnern gepackt«, dieses Ich, ohne auch nur gestreift worden zu sein. Jaja, jetzt verstummt es, und weiß nicht, weshalb. Und fragt niemanden, wie es gemeint war und was es bedeutet, so vor andern zu sprechen. Denn es wird ja doch nur ein Vortrag gewesen sein, nichts weiter, ein Vortrag, und hatte keinen andern Zweck als ein Bild und eine Spur darin zu erhellen, als Übung für die großen Podien draußen im wirklichen Leben. Doch nicht, um Angst zu übertragen und zart darauf hinzuweisen, dass Bildhaft-da-gewesen-Sein und Wirklich-da-gewesen-Sein zuweilen und besonders hier ein und dasselbe sind. Oder werden. – Es schien mir, als ob Flora sich nach ihren Worten auflöste, und nur noch ihre Hülle im Hörsaal stand, ihr plötzlich ganz blass und starr gewordenes Gesicht. Ach Jakob, ich kann mir schon denken, welche Erinnerung sich bei diesen Sätzen in Dein Zimmer schleicht: ein Jahrmarkt, nicht wahr, und ein Marktschreier geht mit einem kostümierten Affen herum, und schreit, dass diese Kreatur, die er in den Armen hält, jetzt schon Kunst geworden sei. Ja, sehen wir denn nicht, wie aufrecht der Affe gehen und stehen könne, so, als Soldat? Und muss Kussmünder werfen und Komplimente machen, und alles das tun, was hier, am Markt, alle gern machten, wenn sie zufällig jemand anders wären, jemand, der Kussmünder wirft und Komplimente macht. Und machen es doch, machen es die ganze Zeit über. Und wenn’s auffliegt, dass alles nichts war, dass die ganze Affenkunst Lüge war und nichts geholfen hat, wird der Marktschreier für schuldig erklärt, oder? Da kann einem sehr mulmig zumute werden, Jakob. Deine Lina

VIII.
    In meinem Kopf geraten zuweilen der Reisende aus der Zukunft und Professor Icks durcheinander: Gibt mir einer von beiden in meinem Zimmer eine kleine

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