König, Hofnarr und Volk: Einbildungsroman (German Edition)
König, wer einmal so, dann anders sagt und dann so tut, als ob er von nichts mehr wüsste, als ob seine Erinnerung alle Minuten gänzlich dahin schwände? Ist ein König, wer seinen Hofstaat an der Nase herum führt und seine ohnehin jämmerlichen Beamten gegeneinander ausspielt? Nun, wenn alles das eines Königs unwürdig ist, eines geliebten Königs zumal, was also bist du dann? Was muss das für ein König sein, der so jämmerliche Beamte beschäftigt! – Und dann, hat ein Mundschenk bezüglich seines Weins nicht auch einen gewissen Stolz? Darf ein König seine Mundschenkwürde verletzen? Nein, das darf er nicht, und wenn er’s tut, obschon er’s nicht darf, empfehle ich dem Mundschenk, sich schleunigst aus dem Umkreis des Königs zu entfernen und sich lieber in eine Zelle zu legen. Aber wie schwer ist das für einen Mundschenk, der seinen König liebt, und der ihm alle schrecklichen, fürchterlichen Fragen hinsichtlich seiner aus den Fugen geratenen Königsmoral nur stellt, weil er ihn liebt. Der König ist für die lächerlichste aller Unterscheidungen, nämlich die zwischen Lüge und Wahrheit, nicht mehr empfänglich. Da tritt er auf den Balkon, die Sonne scheint ihm auf die Stirn, er öffnet einen großen, wunderschönen Fächer, bedeckt sein Gesicht damit (nur Stirn und Augen lässt er frei), fächelt sich Luft damit zu und ruft zum Volk hinunter: Nun sagt mir, in welcher Falte ist der Grund für meine Handlungen wohl gut aufgehoben? In dieser oder in dieser? Werden nicht gerade die Seelenkundigsten unter Euch verstehen, wovon meine Tat eine Folge ist? Werden sie nicht verstehen, dass alles in meiner Geschichte von jeher geschrieben stand? So ein König von heute hat doch nichts zu entscheiden, alles ist schon für ihn entschieden. Ich bin doch auch nicht freier als Ihr alle. Mir geht’s doch auch nicht besser. Ja, einen Balkon hab ich, ein regelmäßiges, stattliches Gehalt, das schon, aber was nützen einem Balkone und Gehälter, wenn auf die Beamten kein Verlass ist? Da sind die Ruhe und das Glück ja doch hin, ganz und gar hin. Alles ein Widerspruch, eine einziges, inneres Sich-Widersetzen. Ja, was glaubt Ihr denn, wie ein König leidet, wie er leidet, wenn seine engsten Angehörigen einander nicht verstehen? Meine Beamten sind doch Angehörige für mich und Ihr alle meine lieben, guten Kinder. Das wisst Ihr doch, das fühlt Ihr doch täglich aufs neue? Drum habt doch Verständnis! Ihr habt doch alle Feinsinn, ja, Zartheit, und könnt Euch einfühlen in meine Königsnatur, meine hin- und hergerissene, ewig unruhige, weil nichts als Euer Wohl im Auge habende Königsnatur! Und meine Hand wollte ich ins Feuer legen dafür, dass mich gerade die Klügsten und Empfindsamsten unter Euch verstehen. Und wollt Ihr das nicht alle, alle sein, klug und empfindsam? Der König fächelt sich Luft zu, jetzt spricht er, ich sehe es ihm an, schon zu den im Augenblick unsichtbaren Sternen, jetzt glaubt er schon selber, was er da will, dass geglaubt werden soll, jetzt sinkt er vor Entzücken über seine großen, großen Worte schon fast in sich zusammen, und ich, der Mundschenk, werde ihn auffangen und ihm einen Becher reichen, ein allerletztes Mal, und dann, vom Balkon aus, das traurige Volk sehen, das Taschentücher in der Luft herum schwenkt und sich die Wangen trocknet, die von Tränen des Mitgefühls ganz salzig geworden sind. Ich lege einen Mantel um die Schultern des Königs, weil er friert, obwohl es eben noch ganz heiß war, so heiß, dass er beinahe einen Sonnenbrand auf der Stirn bekommen hätte. Er sinkt in seinen Sessel, den weichsten und bequemsten, der im Zimmer steht und schaut die Wand an. Er rührt sich nicht mehr. Spielst du jetzt für mich deine Komödie weiter, König? Der König sieht mich an, er durchbohrt mich mit seinem Blick, er ist absolut abwesend. Womöglich sitzt er jetzt fest in der Idee, dass all seine Taten, und mögen sie noch so übel sein und Schaden bei Volk und Beamten anrichten, die Folgen einer Notwendigkeit seien, ja, eine Vorschrift der Geschichte. Er ist ja ein Seelenkundiger, unser armer König, und wenn er erst das Volk um Verständnis bittet und es seine Tränen weint, dann ist er hinlänglich überzeugt, dass wahr ist, was er sagt. Dann kann er wieder in seinem Zimmer weiterschlafen und das Dahindämmern die Tat sein lassen, die einzige, auf die es ankommt. Spielst du jetzt für mich deine Komödie weiter, König? frage ich noch einmal. Ich sage dir, es ist eine traurige
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